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Viertes Buch.
zu den inneren Räumen wenden, lenken wir unsere Schritte nach dem der
Eingangshalle gegenüber an der Nordseite liegenden, thurmartig mit unge-
heuren Mauern vorspringenden Theile. Er umfasst den prachtvollen nSaal
der Gesandtena, einen grossen qriadratischen Raum, den eine reich ge-
malte, aus Holz zusammengesetzte Kuppel bedeckt. J e drei grosse Fenster,
deren Nischen in der gewaltigen Mauerdicke wie kleine Nebenzimmer er-
scheinen, erhellen auf drei Seiten den Raum und bieten die herrlichste
Aussicht auf den Strom und sein liebliches Thal, die Stadt und die Kuppen
der Sierra Nevada. Die an die westliche Langseite des Hofes ßstossenden
Räume sind zerstört; dagegen sind die an die östliche Seite grenzenden
Theile, welche die prachtvollsten Räume, die ehemalige Wohnung der
königlichen Familie, umfassen, vortrefflich erhalten. Auch sie haben einen
freien Hofraum zum Mittelpunkt, der. jedoch kleiner als der Hof der Alberca
ist und dessen Längenaxe im rechten Winkel auf die jenes ersten Hofes
stösst. Es ist der berühmte Löwenhof. Ihn umzieht eine hohe, luftige
Säulenhalle, deren zierliche Bögen auf schlanken, bald einzeln, bald zu
zweien, bald zu drei oder vier stehenden Säulen ruhen. Auf beiden Schmal-
seiten springen die Säulenstellungen rechtwinklig vor und bilden Pavillons,
in deren Mitte kleine Bassins sich befinden. Vier breite Wege durchschnei-
den den in eben so viele Rosen- und Oleanderbeete getheilten Hof und
führen auf das in der Mitte stehende mächtige alabasterne Wasserbecken.
das auf zwölf Löwen von schwarzem Marmor ruht. Diese streng stylisirten,
düsteren Gestalten stehen in einem auffallenden Contrast zu der lichten
Heiterkeit der umgebenden Räume, welche an ihnen eine wirkungsreiche
Folie haben (vgl. Fig. 146 auf S. 222). Der Blick auf die Säulenhallen,
die, besonders an den Pavillons, die reichste Perspective gewähren, bietet
den Eindruck zierlichster Grazie, üppigsten Reichthums. Die Bögen, mei-
stens im Halbkreise geführt, aber auf Säulchen gestützt oder sonst über-
höht und mit kleinen Spitzen filigranartig bekleidet, entsprechen dem ge-
brechlich schlanken Charakter der Säulen. Ja, sie erscheinen zwischen den
Mauerstreifen, welche von den Säulen aufsteigen, um sich mit ähnlichen
horizontalen Streifen" zu einem Rahmen zu verbinden, nur als leichtes, mit
brillanten Teppichmustern bedecktes Füllwerk. Das weit vorspringende
Dach schliesst mit seinem breiten Schatten diese spielend phantastische
Architektur wirksam und energisch ab. An die Nordseite des Löwenhofes
grenzt die Hall e der z wei S chw e s t ern , aus mehreren verbundenen,
kostbar geschmückten Frauengemächern bestehend; an die östliche Seite
schliesst sich der sogenannte Saal des Gerichts , ein schmaler Gang mit
reicher malerischer Ausstattung; an die südliche die H alle der Aben-
Cerragen, S0 genannt, weil auf Boabdifs Geheiss hier die Ritter jenes
berühmten Geschlechts ermordetwurden. Dieser Saal (vgl. die Abbildung
Fig. 140 auf S. 21,8) zeigt die glänzendste Entfaltung der maurischen Ar-
chitektur. Seine Mitte bildet ein Bassin , welches mit dem Löwenbrunnen
in Verbindung steht. Auf beiden Seiten hängt er durch Säulenstellungen
mit niedrigeren Nebenhallen zusammen. Diese sind gleich allen übrigen
Räumen mit Stalaktitenivölbungen versehen. Die Decke des hohen Mittel-
raumes ist sehr künstlich zusammengesetzt. Von einer oberen. Galerie aus
steigen auf schlanken Säulchen Stalaktitengewölbe zwickelartig empor,
welche durch ihr mannichfaltiges Vorspringen einen Uebergang aus der