Erstes Kapitel.
Die Völker des Islam.
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eine künstlerisch ausgeschmückte Stätte der gemeinsamen Gottesverehrung.
Nichts war daher natürlicher, als dass man sich, in ähnlicher Weise , wie
das junge Christenthum gethan, vorhandener Formen bediente, und einer-
seits aus den Resten altrömischer Werke , andererseits aus den bereits be-
stehenden christlichen Kirchen die architektonischen Bedürfnisse bestritt.
Wie naiv man anfangs in dieser Beziehung verfuhr, beweist das Beispiel
des Kalifen Omar, der nach der Einnahme von Damaskus die Basilika des
h. Johannes den Mohamedanern und den Christen zu gemeinschaftlichem
Gebrauch in der Art bestimmte, dass jene den östlichen Theil erhielten,
während die Christen im Besitz des westlichen blieben. Für die Raum-
anlage waren die Erfordernisse des Cultus, dessen wichtigste Bestandtheile
Gebete und Waschungen ausmachten, massgebend. Da das Gebäude also
auch hier eine Menge der Gläubigen zu umfassen geeignet sein musste, so
erklärt es sich dadurch schon, dass man in der Grundform den heidnischen
Tempel eben so wenig nutzen konnte, wie das Christenthum es vermocht
hatte. Vielmehr boten die christlichen Kirchen weit eher die geeigneten
Räumlichkeiten dar, weshalb der Islam in der Bildung des Grundrisses
gewisse Einwirkungen, namentlich vom byzantinischen Bausystem aus,
aufnahm. Wirklich wird auch vom Kalifen Walid berichtet, dass er auf
seine Bitte vom griechischen Kaiser Baumeister zur Ausführung seiner
Bauten erhielt. Wie verwandt aber auch die frühesten Moscheen mitunter
den byzantinischen Kirchen sein mochten, in dem einen Punkte unter-
schieden sie sich von ihren christlichen Vorbildern auf's Bestimmteste:
in der Verschmähung jeder bildlichen Darstellung, an welcher der Islam
in seinen heiligen Gebäuden fast ohne Ausnahme festhielt.
Wie aber der Mohamedanismus ein Kind des Orients war und im Orientalisches
Morgenlande seine weiteste Verbreitung erfuhr, so konnte es nicht fehlen, "klemmt"
dass auch in seiner Architektur die orientalischen Elemente die .vorherr-
schenden wurden. Daher ist ihr die Vorliebe für phantastisch geschweifte,
üppig schwellende Formen, für das [Spiel mit einer reichen Ornamentik vor-
züglich eigen. Doch mischt sich 1n diesen Gesammtcharakter wieder ein
besonderes Anknüpfen an die bereits vorgefundene Denkmälerwelt der ein-
zelnen Länder, so dass unter dem allgemeinen Gesammttypus doch wieder
viele charakteristische Besonderheiten sich bemerklich machen.
Aus diesen verschiedenen Factoren gestaltete sich im Laufe der Zeit Umfang und
durch Verschmelzung der 'Grund-Elemente ein selbständiger Baustyl, Dm"
der, seit länger als einem Jahrtausend in den ausgedehnten Ländergebieten
des Mohamedanismus herrschend, eme Menge prachtvoller und grossartiger
Schöpfungen hervorgebracht hat und trotz einer gewissen Stabilität, die
allen Gestaltungen des Orient? anllaftet, bis auf den heutigen Tag eine
nicht zu leugnende Lebensfähigkert bekundet. Nur ist freilich dies Leben
des Orients wesentlich verschieden von dem des Abendlandes, da jenes auf
ewiger Ruhe, dieses auf ewiger Entwicklung, Umgestaltung, Erneuerung
sich aufbaut.