EINLEITUNG.
Unter allen Künsten sehliesst sich keine so innig; den Bedürfnissen des
Lebens an wie die Baukunst. Keine ist daher der Verwechslung mit bloss
handiverklieliem Schaffen so leicht ausgesetzt wie sie; denn da sie den
Bedingungen gemeiner Zweckmiissigkeit zugleich gerecht zu werden sucht,
und ihre früheste Thätigkeit dahin zielt, dem Menschen ein Obdach her-
zustellen, so glaubt man sie jenen Bedingungen allein unterthan. So lange
die Architektur nur solche äussere Erfordernisse befriedigt, steht sie aller-
dings lediglich auf der Stufe des Handwerks und hat noch keinerlei Anspruch
auf einen Platz unter den Künsten. Weder (las Wigwam des nordamerika-
nischen Wilden, noch die backofeuförmige Hütte des Hottentotten, noch
endlich das schlichte strohbedachte Haus unseres Landmannes gehört dem
Gebiete der Bau-Kunst an.
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Lebes.
Allein bei diesen Werken allgemeinster, alltäglicher Nothweniligkeit
bleibt der Bautrieb des Menschen nicht stehen. So weit unser Blick in die
entlegenen Zeiten der Kindheit unseres Geschlechts hinaufreicht, trifft er
auf Spuren gesellschaftlicher Vereinigungen , die ebenfalls in baulichen
Schöpfungen ihren Ausdruck gesucht und gefunden haben Sobald Genok
sensehaften entstanden, konnte es nicht fehlen, dass Einzelng (lul-ch Mutll
und Tapferkeit, durch Klugheit im Rathe sich vor den Uebrigen hervor-
i-llilten und durch allgemeine Anerkennung ihrer Tüchtigkeit die Führerschaft
erhielten. Das Andenken solcher Helden zu ehren, tliürmte das Volk auf
ihren Gräbern mächtige Erdhügel auf oder wälzte Steinmassen darüber,
und es entstanden die ältesten Formen des Denkmales
Zugleich aber musste aus der Wahrnehmung der ewigen Regelmüssig-
keit im Wechsel der Erscheinungen, im Vereine mit der das Gemüth über-
wältigenden Macht der Natur-Ereignisse, die dunkle Vorstellung von einer
höheren Weltordnung und der Abhängigkeit des Menschen von derselben
Lübke, Geschichte d. Architektur. 1