Viertes Kapitel.
Altchristliche Baukunst. bei den Germanen.
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Altarnische an (auf unserer Abbildung durch hellere Schrafürung bemerk-
bar), die später durch einen hohen gothischen Chor verdrängt wurde.
Gegenüber lag dagegen eine Vorhalle, die mit dem kaiserlichen Palast in
Verbindung stand.
Von einer freien, selbstthätigen künstlerischen Durchbildung sind hier Künstleri-
noch keine Spuren. DieSäulen waren sammt den Kapitälen grösstentheils 5025,13?"
antiken Gebäuden entlehnt , oder ohne feineres Verständniss denselben
nachgeahmt. Die Schäfte waren, wie in den alten Basiliken Roms, von ver-
schiedener Länge, welche man nach Möglichkeit durch höhere oder niedri-
gere Basen auszugleichen bemüht war. Ihre Pracht beruhte daher nur auf
ihrem kostbaren Material, und man siehtldarin eben deutlich, dass bei dem
"Glanze", welcher hier angestrebt wurde, ein. feineres ästhetisches Gefühl
noch keineswegs leitend war. Das Innere war mit Mosaiken ausgeschmückt,
und von der hohen Kuppelwölbung leuchteten auf Goldgrund die Gestalten
Christi und der 24 Aeltesten der Apokalypse. Die Oeffnung der oberen
Galerie hatte bronzene Balustraden von zierlich durchbrochener Arbeit.
Diese , so wie die drei bronzenen Flügeltbüren des Hauptportales und der
beiden Seiteneingänge, sind noch erhalten. In der Mitte des Achtecks lag
eine unterirdische Gruft, in welcher auf weissem Marmorsessel, Scepter
und Reichsapfel in den- Händen, der grosse Kaiser sass.
Aus derselben Zeit stammt ohne Zweifel auch dieoriginelle Vorhalle Vorhalle zu
zu L orsch l) , eine zweistöckige Anlage, unten mit offenen Arkaden zwi- Lomh"
sehen vorgelegten korinthisirenden Wandsäulen, oben mit Fenstern und
einer ionisirenden Pilasterstellung, die ganzen Flächen mit rothem und weis-
sem Marmor mosaikartig incrustirt. Möglich, dass Eginbard, der gelehrte
Freund Karl's des Grossen, wie Kugler vermuthet hat, Urheber und Ver-
anlasser des Baues war, dessen erstrebte Classicität damit wohl ihre Er-
klärung fände. '
In den übrigen Kirchenbauten der Karolingischen Zeit hielt man sich 13asi1ikeu_
an die Basilikenanlage, die besonders für die klösterlichen Gotteshäuser
und an diesen entwickelte sich Zunächst ausschliesslich der Styl der Archi-
tekturl am passendsten erschien. Glücklicher Weise hat sich aus jenen
Tagen ein Grundriss erhalten, welcher für den Neubau der Abteikirche Kirche zu
zu S, Gallen?) von einem Baumeister amHofe Ludwigs des Frommen um Sßauem
das J. 820 entworfen wurde und noch auf der dortigen Bibliothek auf-
bewahrt wird. Hier zeigt sich die Forrn der iiachgedeckten, dreischifiigen
Basilika mit Säulenarkaden. Aber sie tritt bereits mit wesentlichen Zusätzen
und Veränderungen auf. Als die wichtigste unter diesen erscheint es, dass
am Westende der Kirche, der östlichen Hauptapsis gegenüber, eine zweite
halbkreisförmige Nische angeordnet ist. Man erklärt diese Einrichtung aus
dem ritualen Gebrauche, nach Welchem der Chor der Mönche sich beim
Gottesdienste, des alternirenden Chorgesanges wegen, in" die beiden Tri-
bünen vertheilte. Sodann ist die östliche Apsis durch eine Verlängerung
des Mittelraumes und Anfügllng eines QuerschiHes als vollständiger Chor
entwickelt, unter dessen erhöhtem Boden die Krypta liegt. Endlich stehen
zu den Seiten der westlichen Nische zwei runde Thürme , jedoch in losem
Zusammenhange mit dem Baue.
1) G. Moller: Denkmäler der deutschen Baukunst. Darmstadt 1321. l. Bd.
facsimile herausgegeben von F. Keller: Bauriss des Klosters von St. Gallen vom Jahre 820.