Zweites Kapitel.
Altchristlicher Basilikenbau.
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genommen wird. Denn es war allerdings ein kühner Constructionsgedanke,
die ganze mächtige Oberwand des Schiffes sammt dem Dachstuhle auf einer
Säulenreihe aufzubauen, und über dieser wichtigen neuen That mag man
es als unbedeutender betrachten, dass die Säule für ihre neue Function
noch nicht die neue Gestalt zu gewinnen vermochte. So war auch die un-
gegliederte, rechtwinklige Form der Archivolten ein Beweis von dem
mangelnden Geschick für die Entwicklung der Glieder. Denn indem sie
die starre Form eines im Halbkreise geschwungenen Architravs zeigte,
erinnerte sie zu einseitig an die Mauer, aus welcher der Bogen lediglich
herausgeschnitten zu sein schien, ohne eine seinem constructiven Wesen
entsprechende Profilirung zu erhalten.
Auch im Uebrigen blieb man bei den gewonnenen Grundzügen Ausschmük-
des neuen Systems stehen, ohne die mächtigen Mauerflächen des In- klmg"
nern, die man bekommen hatte, streng architektonisch gliedern zu können.
Der Mangel dieser Fähigkeit, vereint mit der Prachtliebe der Zeit, führte
statt dessen zu einer reichen Ausschmückung des Innern mit Mosaiken
oder Fresken, die zunächst die Nische und den Triumphbogen, sodann aber
auch alle grösseren Flächen, besonders die hohen Oberwände des Mittel-
schiffes, bedeckten. Die kolossalen Gestalten Christi, der Apostel und Mär-
tyrer schauten, auf leuchtenden Goldgrund gemalt, auf die Gemeinde herab
und gaben dem Innern eine höchst imponirende, harmonische Gesammt-
Wirkung. Es war nicht ohne tiefere Bedeutung, dass, während der nach
aussen gerichtete antike Tempel sich mit Sculpturen schmückte, die christ-
liche Kirche, die nur eine Architektur des Innern kannte, die plastische
Zierde völlig vernachlässigte und nur mit der Malerei sich verband. Denn
diese in ihrem Farbenglanze und der Beweglichkeit, mit welcher sie die
tiefsten Gedankenbeziehungen, die innigsten Empfindungen darzustellen
vermag, ist recht eigentlich die Kunst des Gemüths, des Innern.
Bei all diesem Mangel an Einzelgliederung steht die altchristliche Ba- Würdigung
silika als eine durchaus n eue bauliche C on ception da. Sie zeigt uns derßaslhka"
zum ersten Male in der geschichtlichen Entwicklungsreihe ein gro ssartig
angelegtes, architektonisch gegliedertes Inneres. Auch die
indischen Grotten und die ägyptischen Tempel gingen auf eine Innenarchi-
tektur aus; allein diese war bei ihnen nichts als ein ziemlich regelloser
Complex von Einzelheiten, die in monotoner YVeise an einander gereiht
waren. Ganz anders die christliche Basilika. Indem sie dem Mittelschiife
mehr als die doppelte Breite und Höhe der Seitenschiffe gab, bildete sie
eine Gruppe innerer Räumlichkeiten, die sich durch die doppelte
Lichtregion als zweistöckig zu erkennen gab und durch den dominirenden
hochragenden Mittelbau die Hauptrichtung der ganzen Anlage deutlich
betonte. Durch die Apsis aber, die beim Hinzukommen eines Querschiffes
für die perspectivische YVirkung noch bedeutender hervorgehoben wurde,
erhielt der ganze Bau einen rmponirenden Schluss und Zielpunkt. So starr
auch noch dabei die Mauern sich verhalten, so unberührt von der fortschrei-
tenden Bewegung Sie sich Zeigen, S0 geben doch die Bögen der Säulen-
reihen eine lebendig pulsirende Linie und setzen der lastenden Masse einen
elastischen Widerstand entgegen. In dieser schlichten Strenge, die beim
Hinblick auf die Details selbst etwas Unbehülfliches verräth, ist der bedeu-
tende Eindruck der Basilika begründet. Der Gedanke, der ihr zu Grunde
L ü b k e , Geschichte d.
Architektur