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Drittes Buch.
Ober-wand. Ueber den schräg ansteigenden, an den Mittelbau gelehnten Pult-
dächern der SeitenschiHe erhob sich die Oberwand des Mittelschiffes zu
bedeutender Höhe, in ihrem strengen Ernst durch keine architektonischen
Glieder gemildert, nur durch eine Reihe von Fenstern jederseits durch-
brochen. Diese waren anfangs hoch und weit, mit Halbkreisbögen über-
spannt, mit rechtwinklig gemauerter Laibung, zuerst durch dünne, durch-
brochene Marmortafeln geschlossen, die, im Verein mit den Fenstern in
den Umfassungsmauern der Seitenschiße, ein zwar reichliches aber ge-
dämpftes Licht dem Innern zuführten. Erst in späteren Jahrhunderten
erhielten diese Fenster allmählich kleinere Form. Die Bedeckung sämmt-
licher Räume, mit Ausschluss der mit einer Halbkuppel überwölbten Nische,
wurde durch eine flache, mit verziertem Täfelwerke geschlossene Holzdecke
bewirkt, über welcher sich die nicht sehr steil ansteigenden Dächer erho-
ben. Erst in späteren Zeiten einer dürftigeren Bauführung liess man diese
Decken fort und zeigte die offene Balkenconstruction des Dachstuhls.
Art der So grossartig nun die Basilika in ihren Hauptverhältnissen entworfen
Dumhbildimgwar, so fehlte doch jener Zeit zu sehr der feinere künstlerische Sinn, als
dass es ihr hätte gelingen können, dies bauliche Gerüst auch im Einzelnen
consequent auszubilden. Es kam zunächst auch in der That nicht hier-
auf, sondern nur auf die Hauptsache, auf die Schöpfung einer neuen
Architekturform, an, und für eine solche war eine Zeit, die den Blick
für das Detail verloren hatte und nur nach einer Gesammtconception suchte,
welche für die neuen geistigen Bedürfnisse ein entsprechender Ausdruck
sei, am besten geeignet. Es ist daher nicht zu verwundern, dass die Aus-
bildung der Basiliken sehr mangelhaft war. Man führte das Gebäude mei-
stens in Ziegeln, zum Theil auch in 'I'uffstein oder Quadern auf, jedoch in
ziemlich nachlässiger Weise, die sich in späteren Jahrhunderten nur noch
steigerte. Die Säulen entnahm man, besonders in Rom, den antiken Pracht-
gebäuden, welche in grosser Anzahl noch vorhanden waren. Konnte man
nicht genug gleichartige erhalten, so setzte man verschiedene in einer Reihe
neben einander und machte sie auf völlig barbarische Weise dadurch gleich,
dass man die zu langen verkürzte oder tiefer in die Erde grub, die zu kur-
zen durch einen höheren Untersatz verlängerte. Daher wechseln auch in
römischen Basiliken die verschiedenen Säulenordnungen der antiken Style
manchmal in bunter Vermischung; doch ist die korinthische die häufigste,
ohne Zweifel weil man diese an den römischen Monumenten in der grössten
Anzahl vorfand. Das korinthische Kapitäl ist auch, weil es bei seiner
schlanken, reichen Form am besten aus dem runden Säulenschafte in die
viereckige Archivolte überleitet, für diesen Zweck das geeignetste, obwohl
auch hier der zu leicht gebildete Abacus keine glückliche Vermittlung mit
dem breit vorstehenden Bogen abgab.
Neue pun- Ein Wichtiger Fortschritt gegen die antik-römische Architektur liegt
aber darin, dass die S äule selbst aus der müssigen Decorativstellung, die
B sie dort einnahm, befreit und einem neuen Berufe entgegengeführt wird.
Die letzten Römerbauten, Werke wie die Constantinische Basilika und der
Saal der Diocletiansthermen. waren darin schon mit einflussreichem Bei-
spiel vorangeschritten. Die Säule ist nun wirklich wieder, was sie bei den
Griechen gewesen war: stützendes, raumöffnendes Glied, nur
dass ihre Stützfähigkeit in viel ernsthafterer Weise als dort in Anspruch
überwand.