Drittes Kapitel.
Römische Baukunst.
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Gesetzen desselben ihr angestammtes Amt in schöner Freiheit verwalteten.
Bei den Römern scheinen sie erbeutete Sclavinnen, edelgeborne zwar, die
aber durch den gezwungenen Dienst im fremden Hause, dessen Gesetze
nicht die ihrigen, eine Trübung ihrer ursprünglichen Anmuth und Heiter-
keit erfahren haben.
Durch diesen unorganischen Charakter büsste die römische Architektur hialßlischer
die Strenge naturgemässer Gesetzlichkeit ein. Ihre Formen _und Glieder Charakter"
sind nicht mehr die freien Blüthen einer schönen Nothwendigkeit, sondern
die Ergebnisse verständiger Berechnung. In dieser Hinsicht wurde schon
bemerkt, dass die römischen Gebäude einen mehr malerischen Charak-
ter tragen. Das Malerische in der Architektur beruht aber eben nicht auf
dem Hervorwachsen der Formen aus dem Wesen der Construction , nicht
auf dem Gesetze, dass die Glieder durch ihre Bildungsweise ihre structive
Bedeutung kundgeben sollen, sondern auf dem rein äusserlichen Elemente
der Gruppirung, eines solchen Wechsels der Formen, der möglichst reiche
und mannichfaltige Gegensätze von Schatten und Licht begünstigt. Dies
war für die Architektur ein neuer Gesichtspunkt , der denn auch die Ko-
lossalrnassen römischer Gebäude in einer dem Auge erfreulichen Weise be-
lebte, ohne die Grossartigkeit des Totaleindrucks zu schwächen.
Vergleicht man von hier aus diese Baukunst mit der ihrem Wesen am Durchbil-
nächsten verwandten der Aegypter, so springt der hohe Vorzug der römi-
sehen, der eben in der Beherrschung der Massen, in ihrer ver-
ständigklaren Gliederung beruht, sogleich in die Augen. Dort war
der Geist von der Materie unterjocht und vermochte ihr nur eine bunt
schimmernde Farbenhülle überzuwerfen; hier durchdringt er den Stoff und
zeigt ihn überall durchweht von seinem Walten. Dadurch nahm die römi-
sche Architektur den Charakter grösserer Selbständigkeit an, und wie un-
abhängig sie vom Boden war, erkennen wir schon darin, dass sie ihre Allgemeine
künstlerischen Formen von den Griechen entlehnte. Daher mussten wir auf Ve'b'eim"g'
den voraufgegangenen Stufen der Betrachtung die Architektur im Zusam-
menhänge mit dem Charakter des jedesmaligen Landes auffassen, als dessen
höchste, vergeistigte Blüthe sie erschien. Hier, wo ein verständiger Eklek-
ticismus sie hervorrief, ist sie nicht mehr ein Product des Bodens, sondern
des wählenden Geistes. Allerdings verlor sie dadurch an jener Wärme,
welche durch das besondere nationale und religiöse Bewusstsein erzeugt
wird; aber dafür schwang sie sich zur Weltherrschaft empor. Wohin die
Römer drangen, dahin verpiianzten sie auch ihre Architektur; in allen
Provinzen des Reichs, vom Rhein bis zu den Katarakten des Nil, von den
Säulen des Herkules bis zu den Ufern des Euphrat, erhoben sich Pracht-
volle Städte mit Forum, KaPiiSOl, Bßßiliken , Tempeln und Palästen , und
die römischen Adler trugen dle gTieChiSchen Formen über den ganzen be-
kannten Kreis der Erde. Vergleicht man dieses Verhältniss mit der strengen
Abgeschlossenheit, in Welcher V0rher jedes Volk seine eigne Kunst für sich
ausbildete, so erkennt man sogleich, dass ein solcher Umschwung nicht
möglich gewesen wäre, Wenn Ilißht in jenen Formen das damalige Bewusst-
sein den allgemeingültigen Ausdruck gefunden hätte,
In diesem Verhältniss liegt die tiefe Bedeutung der römischen Archi- Resultat.
tektur für die Entwicklung der ganzen Kunst begründet. Nur ein prak-