144
Zweites Buch.
schaft mit den asiatischen Völkern wirkte namentlich mit, die Formen
phantastischer und üppiger zu gestalten. Die Verzierungen werden gehäuft,
die Glieder mehr und mehr in bloss decorirender Weise angewendet, ja es
bricht sogar eine phantastische Schweifung der Gesimse sich derart Bahn
durch den geradlinigen Körper der Architektur, dass man oft an Werke
der Renaissance erinnert wird. Dies ist der erste Rococo, den die römische
Architektur erlebt. Auch die Technik büsst ihre alte, lang bewahrte Sau-
berkeit ein und artet im vierten Jahrh. zu fast barbarischer Rohheit aus.
Doch gibt es auch jetzt gewisse Elemente, die prophetisch auf eine künftige
höhere Entwicklung der Architektur hindeuten. Dazu hat man die unmittel-
bare Verbindung von Säulen und Gewölben zu rechnen, die bereits oben
Erwähnung fand.
Rümerbauten Besonders ist es der Orient, dessen Prachtwerke aus der Spätzeit der
h" Oüem" römischen Architektur in glänzender Weise diese Richtung repräsentiren.
In Kleinasien') finden wir Tempel in entartetem korinthischem Style zu
Knidos, Ephesus und Alabanda. (Labranda) , einen ionischen Tem-
pel zu Aphrodisias, mit Portiken in korinthischem Styl, die den Tem-
pelhof einschlossen, u. A. In ausschweifender Ueppigkeit entfaltet sich
diese Architektur an den Römerbauten Syriens. Reichhaltige Ueberreste zu
Palrnyra (dem heutigen Tadm0r)2) bezeugen die Blüthe dieser Stadt,
die durch den Namen ihrer Königin Zenobia berühmt ward. Ein Tempel
des Sonnengottes, 97 Fuss breit und 185 Fuss lang mit peripteraler An-
ordnung, einem Säulenvorhof und prächtigen Propylaeen, bildet hier den
Mittelpunkt einer grossartigen Denkmälergruppe. Noch gewaltiger, aber
auch noch entarteter in den Formen, erscheint der Tempel derselben Gott-
heit zu Heliopolis (dem heutigen Balbek) 3), ein Peripteros von 155
zu 280 Fuss, mit Vorhöfen, Propylaeen und Säulenhallen; ausserdem ein
kleinerer Tempel ähnlicher Form und ein Rundtempel, allesammt in der
äussersten "Willkür und Phantastik der Formbehandlung und Gliederbil-
dung, so dass man hier den Geist der antiken Architektur in den letzten
Zuckungen liinschwinden sieht.
Denkmäler.
Tempel.
YVenn wir im Folgenden nun die Gattungen der römischen Gebäude
durchgehen und für ede einige charakteristische Beispiele geben, so glauben
wir unserem Zwecke damit zu genügen, da eine selbst nur annähernd voll-
ständige Aufzählung der Denkmäler nicht in unserem Plane liegt4 I1.
Von den Temp eln, über deren Bau wir zahlreiche Nachrichten be-
Sitzen, sind zumeist nur geringe Reste der äusseren Säulenhallen stehen
geblieben. Die meisten folgten der Anordnung des griechischen Tempels,
wie der von Augustus erbaute T. des Capitolinischen Jupiter auf
dem Capitol, von dem keine Spur übrig ist; der T, des Mal-s Ultor (irri-
ger Weise gewöhnlich T. des Nerva genannt) , ebenfalls aus Augustus" Zeit,
1) Ionian Anfiqume? Vol- II u. III. Tezicr: Description de PAsie nxineure.
2) R. W001i: Les rufnes de Palmyre, autrement dit Tedmor au däsert. Fol. Londres 1753.
3) R. W001i: LSS rulnes mbie Balbek, autremexlt dit Höliqpolis dans 1a Cälesyrie. F01. Londres 1757.
4) A. Desgozleiz: Les ädlfices antiillles de Rome. Pol. Paris 1682 (neue Ausg. 1775)). B. Pira-
nesi: Le antiquitä Rvmanß. 14TOH1i- Fol- Rßma. L. Canina: Gli ediüzj di Roma antica. Fol. Roma
1840. G- 771111411591": Raccolta dem? Pilll insigne fabbricche di Roma antica. F01. Roma1826.
E. Plavmer und C. Bunsen: Beschreibung der Stadt Rom. 5 Bde. S. u. F01. Stuttgart 1830. J. Burck-
hardt: Der Cicerone. S. Basel 1855.