Vorwort zur zweiten Auflage.
Die Darstellung der architektonischen Bestrebungen itnseres Jaltrhundcrts
hat in so fern eine Erweiterung erfahren, als auch Frankreich und England mit
den li'rezfs der Betrachtung gezogenßzuurden. Auf eine aztsführlichere Schil-
derung und Kritik glaubte ich mich hier nicht einlassen zu dürfen. Für eine
objective geschichtliche Würdigung stehen uns diese Dinge noch zu nah. Sie sind
vor der Hand mehr Gegenstand der Discussion als der historischen Darstellung,
gehören mehr in die Journale als in die Geschichtsbücher. An anderen Orten
habe ich wiederholt ausführlicher über die architektonischen Bestrebungen der
Gegenwart berichtet; hier musste eine allgemein andeutende Charakteristik der
wichtigsten Richtungen genügen. Dagegen ist die wichtige Epoche der Renais-
sance ausführlicher behandelt und der Profanbau der verschiedenen Epochen mit
grösserem Nachdruck hervorgehoben werden, was gewiss Billigung ßnden wird.
Die neuerdings ueröjfentlichten Forschungen habe ich sorgfältig zur
Abrundung meines Buches benutzt. Zu den wichtigsten in den letzten Jahren
erschienenen Werken gehören Vi ol l et- l e-Duris vDictionnaire raisonne de
Farchitecture francaisee und der fünfte Band von C. Schnaasds nGeschichte
der bildenden Künste e, letzterer durch eine in dieser Vollständigkeit früher noch
nirgends gegebene Entwicklungsgeschiehte des frithgothischen Styles von höch-
ster Bedeutung. Auch die Resultate der erst jüngst mit grosser Energie begon-
nenen österreichischen Lokalforschungen habe ich meiner Darstellung ein-
verleiht.
Dass mein Buch gewissen Parteien nicht gefallen hat, dass von einigen
Seiten erbitterte Angriffe auf dasselbe gemacht werden sind, gilt mir als die
entschicdenste Anerkennung, die mir widerfahren konnte. Wer aufrichtig nach
Erkenntniss strebt und seine wissenschaftliche Ueberseugung, unbekümmert um
Persönlichkeiten, unbeirrt von den Parteibestrebungen, die gerade augenblicklich
in Mode sind, offen ausspricht, der kann sich nur fireuen, wenn er einseitigen
Fanatikern unbequem ist. '
Iierlin,
im Juni
1858.
Lübke.