Zweites Kapitel.
Etruskische Baukunst.
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sich im Mittelpunkte des Halbkreisbogens treffen. Da jeder einzelne Stein
das Bestreben hat, nach unten zu gleiten und die benachbarten zu verdrän-
gen, so keilen sie sich gleichsam unlöslich in einander und verbinden sich
mit Hülfe des Mörtels zu einer monolithen Masse. Wie hierbei namentlich
die beiden untersten Steine, welche den ganzen Bogentragen, und der
obere, mittlere, der das System erst zumvollen Abschluss bringt (der
Schlussstein), die wichtigste Stellung einnehmen, begreift sich leicht. Man
sieht aber zugleich , wie bedeutsam diese Erfindung ist , wie seharfsinnige
Combination sie voraussetzt, wie sie recht eigentlich aus einem praktischen,
verstänigen Volke hervorgehen musste. l)em einfachen, naiven Sinne lag
sie um so ferner , je weniger sie in der Natur vorgebildet, je weniger sie
an der Wesenheit des Steines selbst haftet, je_mehr sie Ergebniss einer
künstlich complicirten Rechnung ist. Desswegen kamen auch die Griechen
nicht auf diese Constructionsweise, da sie, in allen Dingen schlicht der
Natur folgend, auch in der Architektur den Stein nur seinen natürlichen
Eigenschaften gemäss behandelten.
Mehrere gewölbte etruskische Bauten sind auf "uns gekommen. Zu- Smfltihßrzu
nächst haben wir einige-alte Stacltthore zu erwähnen, unter denen eins zu lolmlm
Volterra (Fig. 84) , in enger Verbin-
Fis- 84- dung mit den bereits oben genannten
J:- Mauern der Stadt,. das alterthümlichste
W sein mag. Am Sehlusssteine und jeder-
seits an dem untersten, unmittelbar dem
X Gesims aufliegenden Steine sind grossc.
Ü, kräftig vertretende Köpfe angebracht,
w welche eine bedeutsame Hervorhebung
j; EETTKJ-illlirx w; "i; der Hau tmomente des B0 ens bewir-
_j' ken. Augh zu Perugia habin sich zwei Wmßßll
l etruskische Thore erhalten, unter denen Piirugia"
örxj "l das eine, das sogenannte Thor des Augu-
T {Äwiiialerärij I! stus, eine spätere, reichere Behandlung
g i Tgffäihjjr-y xi" verräth, die in eigenthümlichcr Artge-
l-fräj"; wisse Formen der dorischen Architektur
aufgenommen hat. Ueber dem Bogen
Th0r_v0n Voltexra. zieht sich nämlich ein Fries hin, der
lebhaft an den jenes griechischen Styles
erinnert, obschon statt der Triglyphen hier kurze dorisirende Pilaster, statt
der Metopen runde Schilder ausgemeisselt sind. Ungleich bedeutender, ja Cloaca
wahrhaft grossartig erscheint der Gewölbebau jedoch an dem mächtigen
Werke der unterirdischen Abzugskanäle zu Rom, die unter der Herrschaft
der Tarquinischen Könige gegen Anfang des sechsten Jahrh. v. Chr. von
Etmskem ausgeführt Wurden. Sie hatten die Bestimmung, die Niederungen
Zwischen den Hügeln der Stadt trocken zu legen und die Unreinigkeiten
abzuleiten. Daher vereinigen sich die verschiedenen Kanäle in einen Haupt-
kanal, die Cloaca maxima, Welcher mit einer Breite von 20 Fuss in die
Tiber mündet. Die Sicherheit und Kühnheit, mit welcher der Gewölbebau
hier bei so beträchtlicher Spannweite durchgeführt ist , die Festigkeit, mit
welcher derselbe nun seit mehr als zweitausend Jahren dem ungeheuren
Gewicht, das auf ihm lastet, zu trotzen weiss, ist bewundernswerth.