Z weites Kapitel.
Etruskische Baukunst.
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Begeisterung, als vielmehr in deutlich vorgezeichneten Satzungen die Richt-
schnur des Lebens erblickte, musste dahin führen, dass der Rechtshegriff,
der bei den Griechen noch unbestimmter war, zum ersten Male scharf aus-
geprägt wurde. v
Dazu kam, dass ein stark aristokratisches Element sich bei ihnen vor- Aristokratie.
fand, dass die Macht und Herrschaft in den Händen einzelner bevorzugter
Geschlechter lag. Die Gewalt derselben wurde noch dadurch vermehrt,
dass sie auch die priesterliche Würde ausschliesslich bekleideten. Die reli- Rvliaiml-
giösen Anschauungen der Etrusker beruhten aber, nicht unähnlich denen
der alten Perser, auf einem scharf ausgeprägten Dualismus, der Annahme
eines guten und eines bösen Principes. Auf den bildlichen Darstellungen
ihrer Grabmäler sieht man stets einen weissen und einen schwarzen Genius,
die sich um die Person des Gestorbenen zu streiten scheinen. Man bemerkt
also, dass die Religion der Etrusker eine vorwiegend moralische, praktische
Richtung hatte und von der poetisch-mythologischen der Griechen diame-
tral verschieden war. Was sie von göttlichen Wesen verehrten, war mehr
eine dürftige Umhüllung natürlicher Zustände und Vorgänge oder eine um-
gestaltete Uebertragung griechischer Sagen. Mit dieser moralischen Rich-
tung hing es zusammen, dass das Schicksal der Seele nach dem Tode die
Etrusker tiefer bewegte als die Griechen, dass bei ihnen sich eine Lehre
von der Belohnung und Bestrafung in einem anderen Leben vollständig aus-
bildete. Hierdurch erhielt ihr Wesen etwas Gedrücktes , Aengstliches,
Befangenes, ihr Leben etwas Unfreies , Vorsichtiges, und ein stark aus-
geprägter religiöser Aberglaube gesellte sich zu dem nüchtern Verständigen
ihres Charakters:
Ist durch diese Richtung ein feuriger, idealer Aufschwung, wie die Fmnilic.
Griechen ihn besessen, zurückgedrängt, so zeigt sie sich den Tugenden des'
Privatlebens günstiger. Wir finden denn auch die Familie bei den
Etruskern vorwiegend betont, die hier ein Verbindungsglied zwischen dem
Einzelnen und dem Staate bildet. Zum ersten Mal in der Geschichte sehen
wir die Frauen aus dem Verhältniss orientalischer Unterwürfigkeit zu einer
freieren, geachteteren Stellung im Leben gelangen. Dies in Verbindung mit
einem gemüthlichen Zuge, der überhaupt das Leben durchweht, heimclt
uns an, und ist vielleicht als das erste Anpochen nordischer Geistesrichtung
zu betrachten.
Noch mehr wird dieser Eindruck verstärkt durch einen gewissen eklek- Eklckticis-
tiSChEII Hang , der die Etrusker genügt machte, von fremden Völkern in mm"
Sitten und Einrichtungen Manches zu entlehnen. Ihre Vergtandesrightung
war nicht wie bei anderen Völkern "des Alterthums mit einem kräftigen
Selbstbewusstsein gepaart, Welchem wie bei den Aegyptem, Fremdes mit
Schroffheit zurückwiess. Vielmehr führte ihr überlegendes, zergliederndes
Wesen sie zum Aufnehmen Dessen hin, Was sie anderswo als gut und
brauchbar erkannt hatten. S0 finden wir bei ihnen die Sagenkreise und
Mythen der Griechen; so erkennen wir namentlich in ihrer Architektur eine
gewisse, wenngleich umgestaltete Aufnahme griechischer Elemente.