Erstes Kapitel.
Griechische Baukunst.
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Zeit," als ihre schöpferisch-architektonische Kraft bereits erloschen war,
gelegentlich rein decorativ auffassten und behandelten. Es ist damit die
Grenze bezeichnet, welche ihrem baukünstlerischen Schaffen gesteckt war.
"Werfen wir nun einen vergleichenden Rückblick auf den Entwick- Wrglcifhrn-
lungsgang der Architektur, soweit wir denselben bis jetzt betrachteten, um deitiiißiiik-
uns noch einmal klar vor Augen Zu stellen, welchen Höhenpunkt die Grie-
chen darin bezeichnen. Zwei Völker aus der Reihe der bisher genannten
dürfen wir, als baugeschichtlich minder bedeutend, gleich ausscheiden. Es
sind die Perser und die Babylonier. Nicht ohne eine massenhafte und
in's Kolossale gehende Architektur, haben doch beide keinen bedeutsamen
Schritt in der Weiterentwicklung derselben gethan. Sie brachten es nur zu
prachtvoll anfgethürmten, reich gruppirten, glänzend ausgeschmückten
Werken, die gleichwohl die eonsequente Entwicklung eines constructiven
Gedankens, mithin auch die Darlegung und künstlerische Ausprägung eines
ästhetischen Princips vermissen lassen. Das wichtigste Merkmal baulicher
Construction, die Ueberdeckung der Räume , fehlt bei ihnen oder ist doch
im höheren Sinne bedeutungslos, da sie nichtüber die Holzeonstruction
hinausging. Auch über die alten Völker Kleinasiens lässt sich aus den-
selben Gründen nichts Günstigeres sagen. Wichtiger erscheinen die Inder
und Aegypter. Beide haben einen grossartigenTempelbau geschaffen,
beide den Steinbau mit iiacher Bedeckung der Räume in imponirender Weise
zur Anwendung gebracht. Aber die einseitige Begabung beider Völker liess
es nicht zu einer haxmonischen Durchbildung kommen. Die Einen taumeln
in einer sinnverwirrenden Formensprache umher, in ungezügelter Willkür
schweifend, die Andern vermögen sich aus einer gewissen nüchternen typi-
schen Erstarrung nicht zu Schöpfungen lebendiger Freiheit zu erheben. "Die
Bauwerke Beider sind Aggregate, lose Vereinigungen mannichfacher 'l'heile,
zu denen sich immer neue Ansätze und Erweiterungen fügen liessen. Zu-
gleich ist ihre architektonischeFormensprache eine unklar Stammelnde oder
eine starr beschränkte , in äusserer Willkür dem Körper des Baues aufge-
heftet, statt dass sie die naturgemässe, von Innen herausspriessende Blüthe
derselben, der klare. Ausdruck des inneren Wesens, sein sollte;
Erst der griechische 'l'empel steht, mit Beseitigung aller Willkür, als
hoher , vollkommen abgeschlossener Organismus da. lSein eonstructiver
Grundgedanke ist die gerade Ueberdeckung mit Steinbalken , dasjenige
Princip, welches bei-aller ihm anhaftenden Beschränkung den unbestreit-
baren Vorzug der grössten Einfachheit , des völlig Naturgemässen für sich
hat. Indem er dasselbe zu seinenerdenklich höchsten Ausbildung führt,
prägt er allen seinen Formen bis 1n die kleinsten Profile denselben Cha-
rakter schöner Einfachheit, Gesetzmässigkeit und Klarheit auf. Hier ist
Nichts willkürlich hinzugethäll; Alles wächst wie von einer Naturkraft
getrieben aus dem edlen Gliederbau hervor. So ruht er in heitrer Würde, in
stiller Befriedigung, breit hingelagert, als die Krone der schönheitprangen-
den Landschaft, die ihn umgibt. So erhebt er sich vor unserem Auge, in
seliger, plastischer Geßehlessellheif, leuchtend und klar, mit siegreicher
Hoheit, wie jene Göttergestalten des alten I-Iellas