Erstes Kapitel.
Griechische Baukunst.
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an einem Anlass, der die einzelnen Staaten zu innigem Bündniss, zu ge-
meinsamer Kraftbethätigung aufrief. Das waren die Perserkriege, in wel-
chen die jungen Freistaaten die Anmassung eines barbarischen Despotismus
siegreich zurückwiesen. Diese Kriege bilden den Mittelpunkt, von wo auf
das ganze Leben der Griechen die Strahlen einer höheren Entwicklung sich
ausbreiten. Eine ungemein rege Kunstthätigkeit spiegelt sofort diese gei-
stigen Verhältnisse wieder, da nicht allein die von den Persern zerstörten
Denkmäler zu erneuern waren, sondern auch das gesteigerte Selbstgefühl
sich nur durch eine möglichst glänzende Art der Wiederherstellung zu ge-
nügen vermochte.
Der Charakter der Bauwerke dieser Epoche ist ein strenger, feier- Charakter
licher , alterthünnlich befangener. Es wird Bedeutendes erstrebt, aber man Bßtiijikm
fühlt die Mühe und Anstrengung dieses Strebens. Der dorische Styl steht
im Vordergrunde und erfahrt sowohl im Mutterlande als auch in den west-
liehen Colonien Unter-Italiens (Gross-Griechenlands) und Siciliens eine
eben so häufige Uebung als charaktervolle Behandlung. Nur behält in jenen
entlegneren Cultursitzen eine besonders schwerfüllige und herbe Auffassung
des Styles noch in späterer Zeit die Oberhand , so dass man für diese Ge-
genden die Grenze der ersten Epoche um 50 Jahre weiter herunter, etwa
in den Anfang des vierten Jahrhunderts vor Christo, rücken muss. Der Ißnisvhe-S-
ionische Styl dagegen wurde überwiegend in Kleinasien geübt, doch ist kein
irgend erheblicher Rest davon, wie es scheint, auf uns gekommen. Bemer-
kenswerth finden wir jedoch, dass nach d'en Nachrichten der Alten.die
ersten Tempelbauten, von welchen wir erfahren, gleich in grossartigster
Ausdehnung selbst schon in dipteraler Anlage aufgeführt werden. Von dem
wahrscheinlich um die Mitte des sechsten J ahrh. erbauten grossen Temp el 1101710011 auf
der Hera auf Samos sind nur einige Trümmer erhalten, an welchen die sinnlos
einfache Behandlung der ionischen Säulenbasis beaehtenswerth ist. Es zeigt
sich hier nämlich nur ein Trochilus , dieser obendrein sehr hoch und von
geringer Einziehung, aber gleich dem darüber befindlichen Torus mit hori-
zontalen Parallel-Rinnen bedeckt. Der Tempel wurde von Rlwelcos und
Tlwodm-os aus Samos, die zugleich als berühmte Erzgiesser genannt
werden, errichtet. Das kolossalste aller griechischen Gebäude dagegen, der
A rtc mi s te mp el zu E p h e su s , ein achtsäuliger hypäthraler Dipteros Artemision zu
von 225 zu 425 Fuss, ist durch Herostrats wahnsinnige Ruhmsuclrt ver- Ephesu"
niehtet und unter Alexander dem Gr. durch dessen Architekten Deino- _
kra tes wieder hergestellt worden. Später auf's Neue durch ein Erdbeben
zerstört, musste er seine Trümmer zum Bau deliSophienkirche in Constan-
tinopel hergeben. Ebenfalls um die Mitte des sechsten J ahrh. durch Über-
s-ipltrovz und dessen Sohn Jlletageazes begonnen, wurde er erst nach
zwei Jahrhunderten durch die Baumeister Demctrios und Paeonios
von Ephesus vollendet. Sowohl durch die Pracht des Materials, als auch
durch die ausserordentlichen mechanischen Hülfsmittel, mit denen man die
Fundamentirung auf einem Sumpfboden angelegt und die riesigen Marmor-
trommeln zu den 60 FuSS hohen Säulen und den gegen 30 Fuss langen
Gebülkblöcken bewegt und gehoben hatte, erwarb er die Bewunderung der
gleichzeitigen Schriftsteller. Krösus soll monolithe Marmorsäulen dazu ge-
schenkt, und alle kleinasiatischen Griechen sollen zum Baue beigesteuert
haben. Ueberhaupt scheint die Theilnahme an solchen künstlerischen Unter-
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