Erstes Kapitel.
Griechische Baukunst.
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über. Auch die Behandlung der Canelluren ist eine lebendiger bewegte.
Waren an der dorischen Säule zwanzig Kanäle (an den ältesten Moiiunic1i-
tcii gar nur sechzehn) , die in flacher Spannung mit den Kanten einander
nahe berührten, so gibt es deren hier vierundzwanzig, die, tiefer und run-
der ausgehöhlt, einen breiteren Steg zwischen sich lassen. Die Formen
sind also hier voller, weicher, weiblicher, bei der dorischen Säule straffer,
kräftiger, männlicher. Auch enden die Kanäle kurz oberhalb der Basis und
kurz unterhalb des Kapitals in einer runden Höhlung, während sie dort mit
der Säule aus dem Boden aufstiegen. An denselben Stellen, oben und
unten, erweitert plötzlich die Säule ihren Durchmesser in einer starken
Ausbiegung, die man unten den Anlauf, oben den Ablauf nennt.
Besonders eigenthümlich ist das Kapital, am weitesten verschieden
von der Bildung des dorischen, obwohl es aus entsprechenden Tlieilen zu-
sammengesetzt erscheint. Auch hier ist ein
Kg" 56' Echinus vorhanden, der durch sculpirte
K-g; Ornamente , die sogenannten Eier, belebt
I: und desshalb gewöhnlich als Eierstab
f A bezeichnet wird. Besser erscheint es, ihn
l, iilmaettüßlsjlägtpr, ,i nach dem Zeugnisse Vitrmfs als Kymation
rqßqg" (d. h. kleine Welle) zu bezeichnen, die
lfll Illll l, durch überfallende Blätter charakterisirt
lonische, Kapitän wird. Verknüpft wird dieses Glied dem
Säulenschafte durch einen Astragal, dem
aufgereilite, plastisch dargestellte Perlen die Gestalt einer Perlenschnur
verleihen. Auf den Echinus aber legt sich ein Polster, das , nach beiden
Seiten weit ausladend, mit seinen zwischen vortretenden Säumen vertieften
Kanälen sich zu Schnecken (Voluten) erweitert, die dann spiralförmig,
von jenen Säumen eingefasst, sich zusammenziehen, bis sie zuletzt in einem
Auge, das auch wohl durch eine Rosette ausgefüllt wird, enden. Den
man 51 Raum zwischen Polster und Volute
ies ie rüc in geistvo er, wenn-
gleich äehin etiltas erkünstelter Weise
e. , w] Y _ '11 1jiiifjitijtläizt' seine 11' sam eit aus: es ist, als
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F Ghed, das ihn aufzunehmen bestimmt
llüllä War, niedergedrückt, so dass es, auf
X13" ulillfw den Seiten vorgequollen, sich dann
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erst wieder auf seine eigne Kraft zu
besinnen scheint und mit elastischem
ü Umschwung sich in sich selbst zu-
sammenrollt. Es spricht daher ein
S m des ionischen Kapüäls mehr passives Verhalten aus, während
cltixdlxflliillßhaißlllpel zu Pricne. der donsche Echinus ein actives stü"
tzen bezeichnet. Auch hierin erkennt
man den weiblichen und männlichen Charakter der beiden Style. Ueber der
Volute bildet eine kleine, häufig durch ein Blattschemä zierlich ornamentirte
Welle den oberen Abschluss des Kapitals. Die attischen Monumente unter-
scheiden sich von den ionischen durch die bedeutendere Höhe und kräftigere
Kupitixl.