Erstes Kapitel.
Griechische
Baukun st.
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Grund. Das Balkenwerk der Halle zeigte rothe Bemalung; die Vertiefungen
der Kalymmatiendecke hatten azurblauen Grund mit roth und goldnen Ster-
nen. Alle Glieder von geschwungenem Proül (die Kymatien) waren mit
rundlichen oder lanzetförmigen, dem Profil des Gliedes entsprechenden
Blättern, die rechtwinklig gebildeten Platten dagegen mit Mä a n dertäni en
bemalt, so dass in der Form der Decoration
hg" 33' Grundform und Wesenheit des entsprechen-
den Gliedes schon ausgedrückt war. Ausser-
dem scheint an Akroterien und anderen
Mäander. Theilen eine schimmernde Vergoldung statt-
gefunden zu haben i).
Dies im Wesentlichen die äussere Erscheinung des dorischcn Tempels. Charakter des
Sie trägt durchaus den Charakter des Ernstes, der Würde, der Feierlich-
keit, welcher Spielendes, Unbedeutendes vermeidet, nur Bezeichnendes gibt
und in der Form jedes Gliedes das Wesen und die bauliche Bestimmung
desselben scharf ausprägt. Dagegen zeigt sich aber auch in der strengen
Abhängigkeit der Theile von einander eine Gebundenheit dieses Styles, die
einer freieren, mannichfaltigeren Anwendung desselben hemmend im Wege
steht. Die grösste Beschränkung legt namentlich das Triglyphon auf, weil
die ganze Deckenbildung von seiner Eintheilung und durch diese wieder
von der Säulenstellung abhängt. Schon die Alten klagten desshalh über
das Unpraktisehe dieses Styles, und namentlich erzählt uns Vitruv M), dass
Hermogenes, ein Architekt aus der Zeit Alexander des Grossien, aus
dem Material, das er für einen in dorischem Styl auszuführenden Tempel
schon bereit gehabt, einen ionischen Tempel des Bakchos erbaut habe.
Starre Unabänderlichkeit ist, wie im Staat und der Sitte, auch im Bau der
Dorer ausgesprochen. Dies ist ihre Grenze, aber zugleich ihre Grösse. S0
steht der Tempel da in edelster, männlicher Würde, eine herbe Keuschheit
athmend, die , jeglicher Willkür abgesagt, als ein Gebilde tiefster Natur-
nothwendigkeit erscheint.
Der ionische Styl.
Von Grund auf unterscheidet sich vom dorischen der ionische Styl; Sänlenbixsis.
Von dem gemeinsamen Stylobat steigen hier die Säulen, durch einen beson-
dcrn Fuss (die Basis oder Spira) vorbereitet, auf. Wurzelte die dol-ische
Säule mit ihrem mächtigen, straffen Gliederbau in der gemeinsamen Platte
des Unterbaues, ihr selbständiges Wesen dem strengen Gesetz des Ganzen
opfernd, so bedarf ihre zarter gebaute ionische Schwester einer Vorrichtung,
die, indem sie den Uebergang sanfter, allmählicher anbahnt, die Säule doch
zugleich als ein selbständigeres Einzelwcsen charakterisirt. Desshalb erhält luuisrhe
jede Säule für sich ihren besonderen Plinthus, die viereckige Platte, die Basis
den unterenTheil der Basis ausmacht, und in welcher das einfach Recht-
Ucber die Bmnalung (Im: Eüßßhischcn Architektur vergl. Fr. Kugleriv Schrift über die Antike
Polycln-omic (Neußr Abdruck m_1t Zusätzen in: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte von
Fr. Kugler. I. Bd. Stuttgart 18535). Dagvgexx als Vcrfuchter der Ansicht von der durch gän gi g e n
Benmlung der griechischen Arclutßktur: Jlittmf: Rcstitution du tumplc (Ylämpedocle ä Sclinonte, ou
Paruhituuturu polychrome chbz les Grecs. 2 Vols. 4. u. F01. Paris 1851.
Vitruv lib. IV, cnp. 3, 5-1-