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Elftes
Hauptstück.
christlichen Kuppeln, besonders mit der Kirche Sta. Sophia zu
Konstantinopel. In jenen sind die alten Symbole der Baukunst
(die Säulenordnungen) noch in ihrem alten Sinne thtttig, in dieser
treten sie nicht einmal mehr an den untergeordneten Nebenwerken
in diesem Sinne auf, erscheinen sie nur in der bezeichneten neuen
Verbindung und Umgestaltung.
Die Bildnerei, als solche, nimmt gleichfalls neue Grundsätze
an, theils im Gefolge der Architektur, von der sie wieder, wie
vor Urzeiten, in strenge Zucht genommen wird, theils in Gemass-
heit der herrschenden Flächentoreutik, die auf sie einwirkt. Sie
sagt sich los von jenen durch hetruskisch-römische Vorliebe zum
Weich-Plastischen korrumpirten hellenischen Ueberlieferungen und
kehrt bewussterweise zu ältesten, lange vergessenen und umge-
bildeten Typen zurück. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit hat man
z. B. in der spitzen, trockenen Akanthusbildung und der scharfen
toreutischen Behandlung des alt-byzantinischen Laubwerks eine
absichtliche Rückkehr zu phönikisch-syrischer Kunsttradition wahr-
nehmen wollen, wie sie an den Felsengräbern des Kidronthales und
sonst in Judäa hervortreten. 1
Was immer hievon begründet sein oder auf falschen Voraus-
setzungen beruhen mag, so kann das strengstilisirte byzantinische
Akanthusblatt aus der stumpfen spätrömischen Erweichung dieses
Ornaments nicht unmittelbar hervorgegangen sein, da es in ent-
schiedenstem Widerspruche mit ihm steht.
Auch der Erzguss, die Gefässe und die eigentliche statuarische
Bildnerei erfahren den Einfluss der Flächenstereotomie. Der
Bronzeguss wurde in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters
keineswegs hintangesetzt, wie wir theils aus Nachrichten darüber
wissen, theils an alten byzantinischen Bildwerken sehen. Ana-
stasius zählt eine Menge bronzener Gegenstände auf, die während
des Pontitikats des heil. Sylvester der Kirche geschenkt wurden.
Später wird ihre Erwähnung seltener, zuletzt ist gar nicht mehr
die Rede davon. Im 9ten Jahrh. waren jedoch die Byzantiner
noch berühmt als Erzgiesser und Ciseleurs. Abdher-Rhaman
1 Viollet Le Duc, Entretiens 1. Lief. De Saulcy, Voyage en Terre Sainte.
Die grossartigen Bauunternehmungen Knnstantins und seiner Nachfolger auf
der Stelle des heiligen Grabes und sonst auf heiliger Erde, denen asiatische
Baumeister vorstanden, konnten zu der Wiederaufnahme alt-syrischer Kunst-
trailitionen-tlie leicht erklärliche Veranlassung geben.