Stereotonxmie
(Steinkonstruktion).
Teulm isch-Historisches.
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Details ihrer Ausführung, die aber meistens nur das Technische
betreffen, über Verhältnisse und dekorative Ausstattung keine Aus-
kunft gehen. 1
Ueber den Bau eines gemeinsamen Heiligthums der ionischen
Kolonien bald nach ihrer Gründung an den Küsten Ioniens er-
zählt uns Vitruv eine ziemlich dunkle und konfuse Geschichte.
Dieser sei nach dem "Genus" erbaut worden, das zuerst bei
dem (alten) Tempel der Hera zu Argos zufällige Anwendung
gefunden habe und das nachher in Achaia allgemein geworden
sei, vor der Einführung bestimmter Gesetzlichkeit in den Säulen-
Weisen (cum etiam num non esset symmetriarum ratio nota). Nun
aber hätten die Ioner für die Ausführung dieses dorischen Tem-
pelgenus die ihnen fehlenden Säulenverhältnisse sich selbst er-
funden und dabei die Verhältnisse des Mannes (von 6 Fuss Höhe)
als Norm angenommen, indem sie den Säulen das Sechsfache
ihres unteren Durchmessers zur Höhe gaben. Diese Weise hätten
sie die dorische genannt. Später aber, bei dem Baue des Arte-
mistempels zu Ephesus habe man eine neue Weise 2 versucht und
dabei nach der Analogie der älteren dieselbe den Weiblichen Ver-
hältnissen angepasst, den Säulen 8 Durchmesser zur Höhe gege-
ben, die Basis mit einer Spira, wie mit einem Schuhe, bekleidet,
1 Woraus gefolgert werden darf, dass die Verlorenen Baunotizen wirklich
licht waren und aus der Erbauungszeit der Tempel datirten, wie eben eine
monumentale Marmortechnik erst auf Vorschriften und Regeln zu begründen
war und der praktisch-struktive Kanon dafür mit Recht als das Mittheilungs-
wiirdigste erschien. Ohne jene gleichzeitigen Mittheilungen würden wir ohne
Zweifel über den Baumeister der ionischen Tempel Asiens und ihr Wirken
nicht mehr wissen als über den Ursprung und die Autorschaft so vieler dori-
seher Tempel früherer Zeit.
Zu weit würde man gehen, wollte man daraus, dass diese alten Baunotizen
wesentlich technischen Inhalts waren, schliessen, es sei vor der Ausführung
jener kühnen Werke den Griechen die Steintektonik noch nicht geläufig ge-
WESeIl- Es handelt sich hier um eine erweiterte Anwendung derselben im
kßlßsßßlßn Massstabe und in einem neuen dazu geeigneten Baustoffe, dem
weissen Marmor.
2 Novi generis speciem. Vitruv unterscheidet bei Tempeln dreierlei:
Das Gen u s bezieht sich auf den Grundplan, ob in antis, peripterisch, dipte-
risch etc. etc. Die species bezieht sich aufdie Norm der Säulen, ob dichter
oder weiter gestellt: pyenostylos, systylos, diastylos etc. Die ordo ist die
Weise, ob dorisch, ionisch oder korinthisch. (S. Marini zu Vitrnv III. c. 2
Nota 1). Doch zeigt sich Vitrnv in diesen Unterscheidungen nichtimmer kon-
svquent.