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Zehntes
Hauptstück.
Das dorische Prinzip spricht sich .demnach am ursprünglichsten
an solchen peripterischen Grundschemen aus, bei denen die Trennung
der Cella von dem Säulenbau am entsehiedensten hervortritt, Welche
die gegenseitige räumliche und konstruktive Unabhängigkeit beider
Theile von einander am deutlichsten veranschaulichen. Diess ist
der Fall bei den Tempeln Selinunts, deren älteste sich auch durch
andere Merkmale, besonders durch ihre bildliche Ausstattung, als
höchst alterthümlich bekunden, was zur Bekräftigung des Be-
haupteten dienen mag. Solche Tempel wie diese, bei denen näm-
lich die Zellenmauern so beträchtlich hinter den Säulen des Peri-
styls zurücktreten, dass eine zweite Säulenreihe dazwischen noch
Platz hätte, nennen Vitruv und seine Nachfolger begriffsverwir-
rend pseudo dipteris eh, womit sie dieselben als Eriindungen
einer späten bereits raffinirten Epoche bezeichnen, obschon diese
doch nur in dem (ionischen) Pseudodipteros älteste hier in Selinus
vorliegende Motive wieder aufnahm. 1
Somit wäre der sogen. Pseudodipteros das älteste dorische Plan-
scbema, als ein Peripteros mit untergeordneter Zelle, die sich mit der
Zeit und den wachsenden Dimensionen des Kultbildes erweitert
und mit dem Säulenbau Verbindungen eingeht, woraus der spätere
Peripteros entsteht. Der Dipteros mit 8 Säulen in Front und
doppeltem Pteron rings um die Cella und der Dekastylos mit 10
Säulen in Front sind offenbar "späte Erweiterungen des ursprüng-
lich dorischen sechssäuligen Planschemais, zumeist unter Anwen-
dung der ionischen oder korinthischen Weisen bei ihrer Durch-
führung. ,
1 Die bezeichneten selinuntisehen Tempelzellen sind weder im Grund-
plane noch im Aufriss an die Linien und Verhältnisse der Aussenarchitektur
geknüpft, und zwar tritt die Unverrnitteltheit der beiden Elemente der Form
an den ältesten Monumenten am entschiedensten und sehroffsten heraus. Offenbar
vorbedachter Ausdruck einer Trennung, die sich thatsächlieh und struktiv nicht
wohl bewerkstelligen liess, da. die Mauern der Cella als Daehstützen nothwendig
sind. Die innere Einrichtung der ältesten Tempelzellen (Kardacchio, Selinus,
Paestum) ist noch ganz asiatisch, eine Vorhalle, ein Heiliges und ein Allerhei-
ligstes zur Aufnahme des einfachen Holzbildes der Gottheit, des Bretas. Die
Erhebung des letzteren durch die Kunst. die endlich zur chryselephantinen
Kolossstatue führte, machte die Beseitigung des Allerheiligsten und eine er-
weiterte Zellenanlage nothwendig. S0 entstand der Tempel peripteros, mit ent-
wickelter Zelleneinrichtung, aus derjenigen Form, die ganz unlogisch Pseudo-
dipteros genannt Würden ist. Die steigende Erweiterung der Cella führte end-
lich zu der Form Pseudoperipteros, wie am Tempel des Zeus zu Agrigent.