Stereotomie (Steinkonstruktion).
Zwecklich-Formelles.
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Nothwendigkeit und lokale Verhältnisse an und für sich vorschrei-
ben, dem Schönheitssinne entsprechend zur Schau gelegt.
Die Schwerkraft und die Resistenz der Materie gegen dieselbe
sind die nächsten und vornehmsten hier wirksamen Potenzen; es
ist klar, dass diese letzteren an Thätigkeit Wachsen, je mehr die
Last zunimmt, also von oben nach unten.
Die stufenweise Verminderung der Mächtigkeit der Strukturele-
mente von unten nach oben, die an den besseren im Quaderstile
ausgeführten Kunststrukturen überall wahrgenommen. wird, ent-
spricht daher zugleich dem Schönheitsgesetze und dem dynamischen.
Hieran schliesst sich ein anderes, zugleich struktives und ästheti-
sches Gesetz, das der Gleichheit der Elemente, die gleich
und gleicherweise thätig sind. Also bei stufenweiser Ver-
minderung der Dimensionen in Absätzen muss jeder Absatz aus
möglichst gleichen und ähnlichen Elementen bestehen.
Das sogenannte pseudisodorne 1 Gemäuer der Griechen, das
abwechselnd aus hohen und niedrigen Quaderschichten gleichen
Stoffs besteht, wäre nach diesem Grundsatze stilwidrig. In der
That kommt es nur an späten Griechenwerken (aus alexandrini-
scher Zeit) vor, wie an dem Piedestale vor den Propyläen der
Akropolis. Es wurde, in polylither Ausführung, ein Lieblings-
motiv dekorativer Konstruktion im frühen Mittelalter, 2 vorzüglich
in Byzanz, von wo aus es sich nach Osten und Westen verbrei-
tete (Venedig, Messina, Pisa, Florenz). In dieser polylithen Aus-
führung erscheint es mehr gerechtfertigt, weil die Farbenabwechs-
lung eine Verschiedenheit der angewandten Steinarten kund gibt,
die also auch voraussetzlich verschiedene Tragfahigkeiten besitzen.
Die harten Steinsorten sind in der Mehrzahl dunkel, wesshalb das
Gefühl bei Steinen die schmalen Schichten dunkel wünscht.
Anders und umgekehrt bei gemischten Stein- und Ziegelwänden.
Nach demselben Gesetz müssten auch die Längen der Quader,
1 Ich glaube, dass Vitrllv und Wahrscheinlich nach ihm Plinius diesen
gr. Kunstausdruck fälschlich für das hier gemeinte Mauerwerk anwenden.
Pseudisodom war wohl ein scheinbares (falsches) Isodom, also quader-
bekleidetes Füllungsgemäuer, wie am Eleusinium und den Substruktionen des
Olympiums zu Athen. Er wäre also gleichbedeutend mit Emplekton.
2 Am Dome zu Pisa sind die niedrigen Schichten an den Ecken mehr
durch den Mauerdruck geschädigt als die hohen, was auch an vielen anderen
Orten hervortritt und das im Texte Angeführte bestätigt.
Semper, sm n. 47