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Achtes
Hauptstück.
Noch zu Ende des letzten Jahrhunderts war der Stuckateur
ein freier Künstler und es erhielten sich aus der späten Rococo-
zeit Plafonds, die in ihrer Art als stilistische Meisterstücke be-
zeichnet werden dürfen. Wenigstens haben wir kein Recht, sie
niederzureissen.
Daneben behält Jedoch stellenweise die eigentliche Holztäfe-
lung, für Decken und Wände, ihr altes Ansehen. Sie blieb im
Norden Italiens, besonders im venezianischen, beliebt, was mit
der Vorliebe der norditalischen Malerschulen für Tafelmalerei im
Zusammenhang steht. Der Luxus der Eichengetäfel mit Malereien
scheint über Venedig nach Augsburg und Nürnberg gedrungen zu
sein, und gleichzeitig oder sogar früher nach Frankreich (Fon-
tainebleau, Louvre, 1 Palais du Luxembourg).
Die Glanzperiode des Wandgetäfels ist die Zeit des Rococo-
geschmacks, insofern nämlich das Rahmenwerk zum Organis-
mus 2 wird und alle anderen traditionellen Formen der Bau-
kunst zu ersetzen beginnt. Der Rahmen umschliesst die Füllung
pflanzenhaft, umrankt sie gleichsam als ein organisch Be-
lebtcs, hört daher auf, wie früher, krystallinisch eurhythmisch
zu sein.
Das Pegma löst sich in gleichsam flüssig vegetabilische, der
strengen Regelmässigkeit widerstreitende Elemente auf.
Diess ist die wahre Idee des Rococo, füi welche das Wort ge-
funden zu haben wir uns schmeieheln. Aus ihr lässt sich dieser
Stil in seinem WVesen konstruiren, aber es folgt keineswegs zu-
gleich, dass alles, was noch aus ihr entwickelt und in die Erschei-
nnhgswelt gefördert werden kann, unbedingt zum Rococo ge-
hören müsse.
1 Der spätgothische Stil, in Frankreich und sonst, hat schon prachtvolle
Plafondgetäfel aufzuweisen; Beispiel das Getäfe] der Gerichtshalle im Rath-
huuse zu Rouen.
2 Man weiss schon, dass wir darunter etwas anderes verstehen als die
Neugothen, denen alles organisch ist, was struktive Folgerichtigkeit zeigt;