Achtes
Hauptstück.
zeitigen) romanischen Aufschwung der Skulptur zu brechen und
die bildnerisehe Form in den architektonischen Organismus einzu-
verleiben strebt. Ein absichtsvoller tendcnziöser Rückschritt,
die Wahre gothische Skulptur. Aber sofort nachher zeigt sich schon
ein Auflehnen der Skulptur gegen das Prinzip: die edlen, wieder
emanzipirten Skulpturen des Hauptportales derselben Kathedrale
von Chartres, die von Senlis, Paris, Reims und sonst, rebelliren
gegen das gothische System, sind durch und durch romanisch,
d. h. frei von den Einflüssen des Systemes, das die Verdrängung
der romanischen Kunsttraditionen erstrebte; fast so frei davon
wie jene meisterhaften Bildwerke an der spätromanischen golde-
nen Pforte zu Freiberg, und selbst wie jene Werke der Meister
Nicole und Giovanni von Pisa und des Orgagna es'sind. 1
Aber dennoch, gedeih en konnte die Bildhauerei nicht auf die
Dauer unter dem Systeme. Eine zweite Unterjoehung derselben ver-
räth sich bald wieder in den verdreht hässlichen FigurendeyZeit, wie
(im 14. Jahrhundert) die gothische Baukunst fast überall herrschte.
Gleichzeitig war die Malerei in das Netzwerk der Fensterbleie ge-
bannt und ihrerseits architektonisch vollständig gefesselt, wo sie
nicht in den Kleinkünsten Gelegenheit fand, sich freier zu be-
wegen. Denn auch in letzteren, in den Kleinkünsten, tritt schon
um das Ende des 12. und den Anfang des 13. Jahrhunderts eine
Reaktion gegen das System ein, Welches letztere, obgleich noch in
romanischen Einzelformen thätig, schon lange vorher mächtig
war und mit diesen Formen das Geräthewesen und den Hausrath,
heiligen und profanen, beherrschte. Dieser Widerstand lässt sich
grade an dem Besten, was jene Zeit an Kilnstgeräthen und Mö-
beln hervorbrachte, unschwer nachweisen. Beispiele: einige schöne
Vileihschwinggefiisse des 13. Jahrhunderts, 2 der Bronzearmleuehter
der h. Jungfrau in dem Dome zu Mailand, 3 andere desselben orga-
nischcn Pl-lanzenstils zu Braunschweig, Prag und mancher Orten
sonst, unter vielem Andren, was aus dieser gothischen Frühperiode
sich an Geräthen und Möbeln erhielt, oder was auf Miniaturen
jener Zeit dargestellt erscheint. Hier bewegt sich ein Geist der
1 Auch in der Kolossalbildnerei, die sich noch hie und da an frühen Wer-
ken der gothischen Baukunst bethätigt, z. B. im dem Portale zu Amiens, liegt
ein rebellischer Gedanke. Die strenge Gothik schliesst die Kolossalstatue aus.
2 Ein Beispiel auf S. 39 d. B.
3 Didron. Ann. areh. vol. XIII, XIV, XV etc.