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-Histon
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irgend ein anderes befähigt zeigt, wo das Talent des Organisirens '
fast jedem Einzelnen angeboren ist, wo jeder die höchste Be-
friedigung; des Selbstgefühles darin Endet, in einer grossen Ge-
meinschaft aufzugehen und sich stark und glanzvoll repräsentirt
zu sehen.
In dem ilormännischen 2 Gallien und hin und wieder sonst
hatte schon im 11. Jahrhunderte das System gleichsam unbewusster
Weise baulichen Ausdruck gewonnen, ehe es gleichzeitig mit den
blutigen Kreuzzügen gegen die Ketzer in dem vollendeten gothi-
schen Baustile seiner selbst bewusster hervortrat.
In Deutschland fand es dagegen erst nach dem Untergang der
letzten Träger der romanischen Kaiseridee zögernden Eingang
und zwar zuerst in den Rheinlanden, während noch gleichzeitig
der romanische Stil die schönsten Blüthen trug, 3 wo immer die
alte Reichsidee noch wurzelte, vorzüglich in den sächsischen Lan-
den. InJtalien wurde es, wie gesagt, prinzipiell niemals aner-
kannt, noch selbst verstanden.
So stehen sich lange zwei Prinzipe einander gegenüber und
theilt sich die mittelalterliche YVelt in zwei Lager, deren jedes
sein architektonisches Symbol hat. Aber auch in den Lagern selbst
herrscht Zwiespalt; namentlich macht sich in dem siegreichen
gothischen Systeme sofort ein Auflehnen der freien Künste gegen
dasselbe bemerkbar.
An dem Westportale der Kathedrale von Chartres erheben sich
steif hieratische, fein gefältelte, säulenhaft gestreckte und gebun-
dene Statuen, die mit ihrer Umgebung, den gothischen Säulen-
biindeln, völlig in Eins verschmelzenfl Sie sind in ihrer maje-
stätischen Starrheit das wohl durchdachte Werk des Systems,
das durch strengen Schematismus den (früheren und gleich-
1 Was der Franzos unter Organisiren versteht, ist bekannt. In gleichem
Sinne ist dieses Wort zu fassen, wenn der gothische Stil von seinen Anhän.
gern als vorzugsweise organisch bezeichnet wird.
2 Die Normannen sympathisirten in ihrem kriegeriseh systematischen Wesen
mehr als die Franken mit den Galliem und versehmolzen Vviel schneller mit
letzteren in Eins. Sie waren überall die besten Soldaten des Pabstes.
3 W35 unter hohenstanfischer Farbe in den Künsten und in der Poesie
entstand. ist ein Gegensatz des Gothischen. Das Nibelungenlied protestirt gegen
die siegreiche Tendenz des Mittelalters wohl novh entschiedener als die gött-
liche Komödie des Dante.
4 Andere ähnliche zu Corbie, St. Lonp, Rampillon etc.
Semper, Stil II. 42