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Hauptstück.
O
Sechstes
weil ihre Bestimmung sie vor der Formenentartung einigermassen
schützte.
Seitdem Böttger gegen 1709 oder 1711 in Sachsen die achte
Porzellanpaste herausbraehte, hat die Porzellanmanufaktur auch
bei uns einen ganz ähnlichen Gang genommen. Wir müssen die
ersten europäischen Porzellane in stilistischer Beziehung, und über-
haupt, für die besten erkennen; wenigstens ist die älteste Stil-
geschichte des europäischen Porzellans für uns die interessanteste
und lehrreichste, hatte der Stil des Porzellans im vorigen Jahr-
hunderte im Allgemeinen mehr Haltung als der jetzige, trotz des
wahrhaft Besseren, was hie und da aus dem schönen aber ver-
geblichen Streben hervorging, von oben herab den Geschmack
leiten und veredeln zu wollen. 1
Das erste Mühen Böttgers scheint auf täuschende Nachbil-
dungen achter chinesischer Porzellane gerichtet gewesen zu sein.
Er war darin so erfolgreich, dass seine Waaren von den ächten
schwer zu unterscheiden sind.
Hernach trat unter Höroldfs und Kändlers Leitung die pla-
stische Periode der Porzelanmanufaktur ein, verbunden mit einem
Abscheu alles Regelmässigen und Gedrechselten.
Man muss bekennen, dass diese originelle Richtung gewissen
Stilerfordernissen des Porzellanes, wenn man sie in den Vorder-
grund stellen wollte, vollkommen gerecht war. Man muss zu-
geben, dass unzählige mit Porzellanschlamm zusammengeleimtc
Blumenkelche, als reiches Obergewand einer unregelmässig ge-
formten Vase, den eigenthiimliehen Bedingungen, die durch die
Masse des Porzellans der Plastik auferlegt wird, und den Schwie-
rigkeiten, welche die erforderliche hohe Gluthhitze des Ofens der
Hervorbringung völlig fehlerfreier einfacher Formen entgegen-
stellt, gleichmässig entsprechen. Man fühlt auch in der kleinlichen
und süsslich schmiegsamen Manier der berühmten meissner Por-
zellangruppen den wohlberechneten Einduss des in eigener Weise
plastischen Kaolinteiges, der die Formen Verkleisternden Feld-
spathglasur, der sie verdrehenden und abstumpfenden Gluthhitze
des Ofens!
1 Im Ganzen genommen tritt dieses Streben, von oben herab den Ge-
schmuck zu veredeln, in dem Luxus unserer Grossen durchaus nicht hervor.
Wir dachten hier auch eigentlich nur an eine einzige Staatsmanufaktur, über
deren Leistungen später zu sprechen sein wird.