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Die Anordnung Dürers im Ganzen ist gerade umgekehrt,
indem der Richterstuhl v. Z. a. g. rechts steht, auch hat Dürer
4 Personen mehr aufgenommen.
Veritas und
Poenitentiu.
Poenn. mit
Schwert und
Helm
Error und
Festinntio.
Insidia
lnvidin
Frnus.
Calumuia
schleppt den
Insons.
Ignorantia u.
Suspicio flü-
stern dem Kö-
nig Midas
auf d. Thron
in die Ohren
Die Gruppe am Thron ist fast in beiden Bildern gleich,
nur dass Dürer den Midas als Prototyp für einen ungerech-
ten Richter angenommen hat, während die Figur bei Raphael
weiblich zu sein scheint; auch die zweite Gruppe ist gleich
artig. Statt derlnsidia, lnvidia und Fraus sehen wir den
Greis, den ich als Aberglaube bezeichnet und die verhiillte
sich umsehende Gestalt mit einem falschen Blick. Dies ist
Insidia
oder
Hinterlist.
Der
Greis
kann
aber
auch
der
Neid sein und seine Magerkeit auf die Annahme des Volks-
glaubens hindeuten, dass der Neid den Menschen abzehre.
Die Personen der Fraus, Poena, Festinatio und Error
fehlen bei Raphael. Dagegen wäre es leicht möglich, dass
die Figur vor derWahrheit bei Raphael, welche sich Gesicht
und Haare mit den Nägeln berührt, die Poenitentia sei,
welche den ungerechten Richter für seinen falschen Urtheils-
Spruch trifft. Dann wäre das zerkratzen. des Gesichts und
Zerraufen des Haares eine symbolische Bezeichnung für die
Schmerzen der Reue. Das Kostüm bei Dürer zeigt eine rei-
chere Gewandung als bei Raphael und ist im deutschen Stil
gehalten. Auch war es natürlich, dass Dürer sein für den
Schmuck eines festlichen Saals bestimmtes Gemälde sorgfäl-
tiger ausführte, als Raphael seine einfache Zeichnung.
Der Geschmack an solchen Allegorischen Darstellungen
scheint in jener Zeit vorherrschend gewesen zu sein. Nicht
allein bei Raphael sind uns solche Darstellungen bekannt, son-
dern auch in demselben Rathhailssaal ist der Triumphzug Kaiser
Max I. von Dürer dargestellt, von 24 Tugenden umgeben.