Volltext: Appiani [i. e. Andreas] - Domenico del Barbiere (Bd. 2)

Ällwiilßßlel 
Die getragene Auffassung von der Vornehmheit 
der Kunst und dem noch gültigen Muster einer 
allerdings einseitig verstandenen Antike, wie sie 
das Zeitalter Ludwigs XIV. kennzeichnet, er- 
scheint hier von ihrer guten Seite. Freilich leidet 
Anguier auch an den Mängeln jener Zeit, vor- 
nehmlich an der Spannung der Empfindung zu 
ausfahrendem Affekt und dem unruhvollen, nicht 
selten theatralischen Ausdruck desselben. An- 
drerseits ist seinen Werken eine gewisse Härte 
und Trockenheit der Ausführung eigen, wie 
wenn er seines Werkzeugs und der technischen 
Mittel nicht hinlänglich Herr gewesen wäre. Da 
aber jene guten Eigenschaften doch vorwiegend 
den Eindruck bestimmen, haben seine Arbeiten 
auch heute noch einen gewissen Werth. 
Das bedeutendste Werk, welches das L ou vre 
von dem Meister besitzt, ist das Denkmal der 
Herzöge von Longueville (früher in einer Kapelle 
des Cölestiner-Klosters zu Paris). Es besteht 
aus einer Pyramide mit Trophäen, an deren 
Sockel vier weibliche Statuen, die Thigenden 
vorstellend, die Ecken einnehmen und die Re- 
liefs von vergoldetem Kupfer die vornehmsten 
Episoden aus dem Leben des Herzogs Heinriclrs 
schildern (die Schlacht von Senlis und Hein- 
rich IV. ihm nach der Schlacht von Arques für 
die zugeführtenVerstärkungen dankend). Clarae 
lobt diese Reliefs, doch findet Lübke in ihnen 
mit Recht ein Uebermaß malerischer Anord- 
nung, das bis zur Verwirrung geht, während die; 
gut gewandeten Figuren der Tugenden einfach! 
und edel gehalten sind. Da Heinrich 11., Herzog. 
von Longueville, 1663 starb, ist das Denkmal? 
ohne Zweifel nach dieser Zeit zu setzen. Mehr5 
als zehn Jahre früher fallt ein anderes Denkmal, 
das neben jenem zu den besten Arbeiten des 
Meisters zählt: das Grabmal Heinrichs 11., Her- 
zogs von Montmorency, der in Toulouse 1632, 
enthauptet wurde (errichtet 1652 im Auftrage 
der Herzogin von Montmoreney im Kloster des 
Filles de Sainte Marie in Moulins und jetzt 
daselbst in der Kapelle des Kollegiums). Der 
Held in römischem Kaiserkostüm, diesmal in! 
halb liegender Stellung fast zu anmuthig, die 
Gemalin sitzend und die Hände im Schooße 
ringend, allzusehr im Charakter einer reuigen 
schönen Sünden-in ; doch sind die Köpfe fein und 
von einer überzeugenden Natnrtreue. Zu den 
Seiten versinnlichen allegorische Figuren die 
Eigenschaften des Fürsten. Die Modelle zu den 
Statuen des Herzogs und der Herzogin befinden 
sich im Museum von Versailles. Zu dieser Arbeit 
hatte A. seinen Bruder Miehel, der eben aus 
Rom zurückgekehrt war, als Gehiilfen zugezog 
gen, und von diesem ist sicher die Statue des! 
Herkules oder der Kraft. Ferner ist von Franeois  
im Museum von Ve rsa i l l es das Denkmal  
Heinrichs Ohabot, Herzogs von Rohan, Gouver-  
neurs von Anjou, der 1655 gest; in der Kapelle: 
Orleans in der Cölestinerkirche zu Paris beige; 
setzt werden. Er ist sterbend dargestellt, von! 
zwei Genien betrauert, deren einer ihn seufzend 
Wmit dem Herzogsmantel bedeckt.  Dann im 
Louvre das Grabmal des Präsidenten Thou 
 (früher in einer Kapelle der Kirche St. Andre des 
wArts), und jenes der Gasparde de la Chätre, 
;seiner zweiten Gemalin, das sich im Museum 
von Versailles befindet. Im ersteren ist die 
fwürdige Figur des Präsidenten, knieend vor 
leinem Betpulte, dargestellt, wieder von anspre- 
chender Wahrheit; doch ist hier besonders die 
schon erwähnte Härte der Behandlung bemerk- 
lich, wie andrerseits in den Details ein zweifel- 
hafter Geschmack. Weniger günstig als diese 
Monumente wirkt das Grabmal des Johanniter- 
ritters Jacques de Souvre, Grosspriors von 
Frankreich, dessen liegende Gestalt von einem 
weinenden Genius betrauert wird; es ist hier zu 
sehr auf den Ausdruck eines besonderen Aifektes 
abgesehen und geht daher die Darstellung in's 
Gespreizte. Das Denkmal ist noch in der Kirche 
S. Jean de Latran, für welche es bestimmt ge- 
wesen, erhalten. Noch ist in derselben Kirche 
die Madonna über dem Hauptaltar von dem 
Meister. 
Der sehr thätige Meister war überhaupt viel 
für Pariser Kirchen beschäftigt und fand mit 
seinen Arbeiten allgemeine Anerkennung. Den- 
noch, so sehr geschätzt er war, gelang es ihm 
nicht, gleich seinem Bruder Mitglied der Pariser 
Akademie zu werden. Ansehnliche Werke hat 
er auch für die Kirche Val-de Grace geliefert 
(Kreuzabnahme am Hauptaltar, Heiligeniigureu 
am Portal), sowie für das Thor St. Antoine die 
Statuen der Hoffnung und der öifentlichen Sicher- 
heit. Ferner half er seinem Bruder bei der plasti- 
schen Ausstattung des Thores St. Denis.  Nur 
selten hat er, bei der ernsten Richtung, die ihm 
eigen war, an den gefalligen Formen nackter 
Schönheiten sich versucht (liegende Venus im 
Garten des Hotel d'Aumont). 
Sein Schüler war Thomas Regnaudin ; Girardon 
und die Brüder Gaspard und Balthasar Marsy 
waren Schüler beider Anguier, ohne dass sich 
bestimmen liessc, wie viel sie einem jeden von 
ihnen zu verdanken haben. 
s. Desallier d'Argenville, Vie des fameux 
Architeetes et Sculpteurs. Paris 1787.  Me- 
moires inedits sur 1a vie etc. des membres de 
PAcad6mie royale etc. Paris 1854. Register des 
2. Bdes.  Clarae, Mnsee de Sculptnre etr. 
(Text). I. 512. 513. V. 317.  Sou1i6,Notice 
du Musee de Versailles II. 63. 66. 388. III. 502. 
 Archiv es de Part francais. V. 76. 77.  
Jal, Dietionnaire.  Thiery, Guide des (Stran- 
gers etc. 21 Paris. I. u. II. passim. 
96 J. J. Guiffrey. 
Nach ihm gestochen: 
l) Die vier Statuen der Tugenden am Denkmal 
der Longueville in: Clarao, Musee de Sculpture. 
III. 'I'af 363. 
2) llronzevase im Garten zu Versailles (die Lilien 
wurden von ihr in der Revolution abgeschlagen).
	        
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