Ällwiilßßlel
Die getragene Auffassung von der Vornehmheit
der Kunst und dem noch gültigen Muster einer
allerdings einseitig verstandenen Antike, wie sie
das Zeitalter Ludwigs XIV. kennzeichnet, er-
scheint hier von ihrer guten Seite. Freilich leidet
Anguier auch an den Mängeln jener Zeit, vor-
nehmlich an der Spannung der Empfindung zu
ausfahrendem Affekt und dem unruhvollen, nicht
selten theatralischen Ausdruck desselben. An-
drerseits ist seinen Werken eine gewisse Härte
und Trockenheit der Ausführung eigen, wie
wenn er seines Werkzeugs und der technischen
Mittel nicht hinlänglich Herr gewesen wäre. Da
aber jene guten Eigenschaften doch vorwiegend
den Eindruck bestimmen, haben seine Arbeiten
auch heute noch einen gewissen Werth.
Das bedeutendste Werk, welches das L ou vre
von dem Meister besitzt, ist das Denkmal der
Herzöge von Longueville (früher in einer Kapelle
des Cölestiner-Klosters zu Paris). Es besteht
aus einer Pyramide mit Trophäen, an deren
Sockel vier weibliche Statuen, die Thigenden
vorstellend, die Ecken einnehmen und die Re-
liefs von vergoldetem Kupfer die vornehmsten
Episoden aus dem Leben des Herzogs Heinriclrs
schildern (die Schlacht von Senlis und Hein-
rich IV. ihm nach der Schlacht von Arques für
die zugeführtenVerstärkungen dankend). Clarae
lobt diese Reliefs, doch findet Lübke in ihnen
mit Recht ein Uebermaß malerischer Anord-
nung, das bis zur Verwirrung geht, während die;
gut gewandeten Figuren der Tugenden einfach!
und edel gehalten sind. Da Heinrich 11., Herzog.
von Longueville, 1663 starb, ist das Denkmal?
ohne Zweifel nach dieser Zeit zu setzen. Mehr5
als zehn Jahre früher fallt ein anderes Denkmal,
das neben jenem zu den besten Arbeiten des
Meisters zählt: das Grabmal Heinrichs 11., Her-
zogs von Montmorency, der in Toulouse 1632,
enthauptet wurde (errichtet 1652 im Auftrage
der Herzogin von Montmoreney im Kloster des
Filles de Sainte Marie in Moulins und jetzt
daselbst in der Kapelle des Kollegiums). Der
Held in römischem Kaiserkostüm, diesmal in!
halb liegender Stellung fast zu anmuthig, die
Gemalin sitzend und die Hände im Schooße
ringend, allzusehr im Charakter einer reuigen
schönen Sünden-in ; doch sind die Köpfe fein und
von einer überzeugenden Natnrtreue. Zu den
Seiten versinnlichen allegorische Figuren die
Eigenschaften des Fürsten. Die Modelle zu den
Statuen des Herzogs und der Herzogin befinden
sich im Museum von Versailles. Zu dieser Arbeit
hatte A. seinen Bruder Miehel, der eben aus
Rom zurückgekehrt war, als Gehiilfen zugezog
gen, und von diesem ist sicher die Statue des!
Herkules oder der Kraft. Ferner ist von Franeois
im Museum von Ve rsa i l l es das Denkmal
Heinrichs Ohabot, Herzogs von Rohan, Gouver-
neurs von Anjou, der 1655 gest; in der Kapelle:
Orleans in der Cölestinerkirche zu Paris beige;
setzt werden. Er ist sterbend dargestellt, von!
zwei Genien betrauert, deren einer ihn seufzend
Wmit dem Herzogsmantel bedeckt. Dann im
Louvre das Grabmal des Präsidenten Thou
(früher in einer Kapelle der Kirche St. Andre des
wArts), und jenes der Gasparde de la Chätre,
;seiner zweiten Gemalin, das sich im Museum
von Versailles befindet. Im ersteren ist die
fwürdige Figur des Präsidenten, knieend vor
leinem Betpulte, dargestellt, wieder von anspre-
chender Wahrheit; doch ist hier besonders die
schon erwähnte Härte der Behandlung bemerk-
lich, wie andrerseits in den Details ein zweifel-
hafter Geschmack. Weniger günstig als diese
Monumente wirkt das Grabmal des Johanniter-
ritters Jacques de Souvre, Grosspriors von
Frankreich, dessen liegende Gestalt von einem
weinenden Genius betrauert wird; es ist hier zu
sehr auf den Ausdruck eines besonderen Aifektes
abgesehen und geht daher die Darstellung in's
Gespreizte. Das Denkmal ist noch in der Kirche
S. Jean de Latran, für welche es bestimmt ge-
wesen, erhalten. Noch ist in derselben Kirche
die Madonna über dem Hauptaltar von dem
Meister.
Der sehr thätige Meister war überhaupt viel
für Pariser Kirchen beschäftigt und fand mit
seinen Arbeiten allgemeine Anerkennung. Den-
noch, so sehr geschätzt er war, gelang es ihm
nicht, gleich seinem Bruder Mitglied der Pariser
Akademie zu werden. Ansehnliche Werke hat
er auch für die Kirche Val-de Grace geliefert
(Kreuzabnahme am Hauptaltar, Heiligeniigureu
am Portal), sowie für das Thor St. Antoine die
Statuen der Hoffnung und der öifentlichen Sicher-
heit. Ferner half er seinem Bruder bei der plasti-
schen Ausstattung des Thores St. Denis. Nur
selten hat er, bei der ernsten Richtung, die ihm
eigen war, an den gefalligen Formen nackter
Schönheiten sich versucht (liegende Venus im
Garten des Hotel d'Aumont).
Sein Schüler war Thomas Regnaudin ; Girardon
und die Brüder Gaspard und Balthasar Marsy
waren Schüler beider Anguier, ohne dass sich
bestimmen liessc, wie viel sie einem jeden von
ihnen zu verdanken haben.
s. Desallier d'Argenville, Vie des fameux
Architeetes et Sculpteurs. Paris 1787. Me-
moires inedits sur 1a vie etc. des membres de
PAcad6mie royale etc. Paris 1854. Register des
2. Bdes. Clarae, Mnsee de Sculptnre etr.
(Text). I. 512. 513. V. 317. Sou1i6,Notice
du Musee de Versailles II. 63. 66. 388. III. 502.
Archiv es de Part francais. V. 76. 77.
Jal, Dietionnaire. Thiery, Guide des (Stran-
gers etc. 21 Paris. I. u. II. passim.
96 J. J. Guiffrey.
Nach ihm gestochen:
l) Die vier Statuen der Tugenden am Denkmal
der Longueville in: Clarao, Musee de Sculpture.
III. 'I'af 363.
2) llronzevase im Garten zu Versailles (die Lilien
wurden von ihr in der Revolution abgeschlagen).