Volltext: Appiani [i. e. Andreas] - Domenico del Barbiere (Bd. 2)

698 Giorgio Barb arelli. 
gelehnt, den Kopf nach der Seite des Hügels ge- Die Komposition  eine Zusammenstellung von 
wendet, aber wie in Sinnen verloren ins Weite drci Halbiiguren  ist die einfachste, die sich 
blickend. Im Mittelgrund rechts an der Rück- denken läßt: ein Mönch im Augustinerkleid sitzt 
seite des Hügels erhebt sich eine Gruppe hoher am Spinett, dessen Tasten er mit beiden Händen 
Bäume, links ihr gegenüber die Ruine eines an- berührt, indem er den Kopf nach dem älteren 
tiken Gebäudes, in der Ferne zeigen sich, an rechts stehenden Geistlichen zurückwendet, der 
Castelfranco crinnerud, die Häuser und CPhiirme in der einen Hand eine Laute hält und die andere 
einer Stadt, über welcher bleigraue Gewitter- leicht auf der Schulter des vor ihm Sitzendcn 
Wolken aufsteigen, aus denen ein Blitzstrahl ruhen lässt, aufmerksam den angeschlagenen 
niederfährt. Für die Deutung des Bildes ist der Tönen folgend; links steht ein Jüngling in ritter- 
Phantasie ein weiter Spielraum gegeben; in der licher Tracht, den Federhut auf dem Kopf, mit 
Gestalt desJünglings wird manGiorgione selbst, der Miene sinnenden Zuhörens. Die geistige 
in der weiblichen Gestalt, die mit der Madonna Feinheit im Ausdruck der bedeutenden Köpfe, 
von Castclfranco eine gewisse Verwandtschaft der malerische Reiz in der Liehtführung und der 
hat, die Geliebte des Künstlers vermuten diir- Stimmung der Farben, die freie Sicherheit des 
fen. Das Kolorit des Bildes, das an einigen Vortrags bei der vollcndetsten Durchführung 
Stellen leider stark übermalt und verputztist, alles Einzelnen machen das Gemälde zu einem 
hatin der schönen, sonnigenKlarheitdesVoi-dcr- der hervorragcndstenWerke der Venezianischen 
grunds, in den düster verschwimmenden Tönen Malerei des Cinquecento. Leider hat auch dieses 
der Ferne durchaus das, was im prägnanten Bild durch Verputzen und Uebermalen an eini- 
Sinne malerische Stimmung genannt wird und in gen Stellen nicht unerheblich gelitten. 
diesem Sinne in der italienischen Malerei bei Am nächsten steht den drei eben genannten 
Giorgione, streng genommen, zuerst vorkommt. Gemälden das oben schon erwähnte nUrtheil Sa- 
Das zweite Bild, ndie drei Astrologenu in der lom0's in der Gal. von Kingston Lacy (bei 
Wiener Belvedere-Galeric ist in landschaftlicher Wimborn in England). Die Szene ist in's antik 
Hinsicht nicht weniger interessant, als das v0- Römische übersetzt, Salomo auf (lcn1Thron einer 
rige. Die Figurengruppe im Vordergrund rechts apsisförmi gen Tribuna hat die Tracht eines Prä- 
hat sehr verschiedene Deutungen erfahren. Ein tors; von den übrigenFigurexi ist der Vollstrecker 
Jüngling, im Profil nach links gewendet, mit des Urtheils nur erst skizzirt. Obschon sich das 
Zirkel und Winkehnaaß in der Hand, sitzt am Bild in ziemlich schadhafteln Zustande befindet 
Boden, den Blick sinnend in die Höhe gerichtet; und partieuweise sehr stark retuschirt ist, er- 
mehr nach rechts und ganz von vorn gesehen, scheint es, namentlich durch die Grösse und Ein- 
steht ein bärtiger Mann in orientalischer Tracht, fachheit der Zeichnung, doch immer noch von 
mit einem dritten im Gespräch begriifen, der, bedeutender Wirkung. (Vcrgl. Waagen, Trea- 
eine wiirdevolle, in weite Gewänder gehüllte sures etc. Suppl. pp. 377.  
Greisengestalt, einen Zirkel und eine aufge- Bei den hiernächst zu ncnncnden Bildern ist, 
rollte Sternenkarte in der Hand hält. Hinter wie es scheint, vornehmlich der Charakter des 
dieser Gruppe ragen hohe Baumstämme auf, die Gegenstands der Grund gewesen, weshalb sie 
sich dunkel gegen den Himmel absetzen; auf der dem B. zugeschrieben wurden. Entschieden 
gegenüberliegenden Seite des Vßfdelxgrllnflß er- Giorgionesk im Gegenstand sind folgende zwei: 
hebt sich eine tiefbeschattete Anhöhe, während das Concert im Louvre zu Paris und das sogy 
sich in der Mitte des Bildes ein Durchblick in Horoskop in der Gal. zu Dresden (früher in 
die Ferne eröffnet, auf 6111 Wßldigßs T1131, in der Gal. Manfrin zu Venedig, dann in der Bar- 
dem ein Dorf mit spitzem Kirchthurm und Miih- kerschen Sammlung). Die Art der Behandlung 
len gelegen ist; an den Hügeln des PIOFiZOIICS und Ausführung aber, namentlich die Vernach- 
sinkt eben die Sonne hinab. Die drei Männer, lässigung der Form in beiden Bildern, lässt stark 
die man bald Chaldäer, Astrologen, bald Feld- bezweifeln, dass sie von Giorgionds eigener 
messer genannt hat, erscheinen wie Repräsen- Hand herrühren. Das Concert im Louvre zeigt 
tanten jener halb poetischen, halb philesophi- einen Weiten, von Hügelreihen und einzelnen 
scheu Art der Naturbetrachtung, die für das Bäumen umschlossenen Wiesenplan; in derMitte 
Zeitalter der Renaissance charakteristisch ist. desselben sitzt ein junger hlann in ritterlichem 
Unmittelbar für das Gefühl verständlich ist der Zeitkostüm, die Laute spielend, ihm zur Seite 
allgemein poetische Zusammenhang zwischen ein Bursche in dürftiger Kleidung, vor Beiden 
der abendlichen Stimmung der Landschaft und ein jugendliches nacktes Weib, vom Rücken ge- 
der contemplativen Stimmung dieser drei Ge- sehn, eine Flöte in der Hand; im Vordergrund 
stalten. Die kräftige Farbe des Bildes ist stel- links steht eine zweite nackte Frauengestalt, auf 
lenweise sehr nachgedunkelt. (Vergl. C. v. Lii- den Rand eines Brunnens gestützt, aus dem sie 
tzow's Text zu Unger's Radirungen nach Gern. geschöpft hat. Die Szene wird durch felsiges 
der K. K. Gemäldegal. in Wien. 1876. p. 13.) Meeresufer begränzt. Im Gegensatz zu der 
Das bedeutendste jener drei Gemälde ist das Noblesse der Gestalten, der feinen Naturempün- 
Concert in der Gal. Pitti, welches Leopold von dung und vollendeten Zeichnung in den bisher 
Toseana im 17. Jahrh. von Paolo del Sera kaufte. erwähnten Bildern zeigt sich hier eine Derbheit
	        
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