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Alesso Baldovinetti.
B. auf das Landschaftliche verwendete, gibt das
Werk noch jetzt eine Vorstellung. Seine Ge-
stalten sind meist von plumpen und schwerfal-
ligen Formen und ohne lebendige Bewegung.
An künstlerischer Bedeutung steht er gegen die
Pollajuoli und Peselli entschieden zurück; er
war, was Vasari eine persona solistica nennt, ein
Grübler in seinen technischen Experimenten,
wie in der subtilen Durchführung seiner Bilder.
Vasari nimmt an, und jedenfalls mit Recht,
dass die technischen Neuerungen Baldovinettfs
und seiner Genossen, diese ersten Anfänge der
italienischen Oelmalerei, noch vor die Zeit fallen,
wo die vollendete fiamändisehe Oeltechnik, die
Malweise der Van Eyck, in Italien bekanntwurde ;
er sagt, dass die italienischen Neuerer vergeblich
anstrebten, was von diesen Meistern geleistet
wurde. Die Einführung und Verbreitung der
Van Eyckschen Technik, die Italien Antonello
von Messina verdankte (s. diesen), hat jedenfalls
erst nach dem J. 1465, im Verlauf der folgenden
Jahrzehnte, stattgefunden; möglich daher, dass
sie auf die späteren Arbeiten Baldovinettfs Ein-
fluss hatte. Aus dem 'l'raktat Filarctes, den die
neuesten Herausgeber des Vasari im Kommentar
zum Leben Antonellds von Messina zitiren, geht
zwar hervor, dass eine Kunde von der neuen
niederländischen Methode schon zwischen 1460
und 64 nach Florenz gelangte; doch war diese,
wie das Dokument ausdrücklich sagt, eine ganz
allgemeine, so dass sich schwerlich annehmen
lässt, dass die technische Praxis schon von ihr
Nutzen gehabt.
Ein besondres Interesse wendete B. der Mu-
sivkunst zu und beschäftigte sich auch auf diesem
Gebiet sehr lebhaft mitVersuchen, das technische
Verfahren zu verbessern. Mehrere alte Mosaik-
bilder wurden von ihm restaurirt: 1481 das Mo-
saik über dcm Portal von S. Miniato, in der Zeit
zwischen 1482 und 90 am Baptisterium zu Flo-
renz das Mosaik über dem Portal der Nordseite
und das des Kuppelraumes. (Richa, Chiese fror.)
Als Schüler Baldovinettfs sind Domenico Ghir-
landajo und Graffione bekannt; jener war es
eigentlich nur in Bezug auf musivische Arbeit,
doch lassen sich auch in Gemälden desselben aus
früherer Zeit Einflüsse Baldovinettfs erkennen.
Bildnisse des Künstlers:
l) Brustb. in der Ausgabe des Vasari von 1568 (u. in
späteren), von Vasari gez. u. von C. Coriolano in
Holz geschn. ; in der Bottarfschen Ausgx, 1759,
60. Radiruug.
2] Dass. Gcz. von G. Vasari. Gest. von G. B. O c cc h i.
4. In: Serie degli uomini i piu illnstrj etc. I. '75.
Dass. in Rund. Gcst. in 2 L'Etruria pittrice. I.
N0. 23.
Nach ihm gestochen und photographirt;
l) Die Geburt Christi, in dcrAnnunziata zu Florenz.
Gius. (Jalendi dis. Gaet Vase ellini incisc.
qu. Fol. In: L'Etruria pittrice. (Hier genannt:
Uadorazione de' Pastori.)
2) Das Bild der Uftizien (Madonna mit dem Kind
ein Madonnenbild für den Aufsatz eines Altar-
wcrks lieferte. In Gaye's Carteggio findet sich
erwähnt, dass Dom. Michelino nach einer Zeich-
nung Baldovinettfs ein Porträt Dante's malte,
das im Dom zu Florenz aufgestellt war. In der
nämlichen Zeit, wo B. die Malereien für S. Tri-
nitä. ausfiihrte, entwarf er verschiedene Kompo-
sitionen für Glasfenster in den Kirchen S. llrlar-
tino zu Lucca und S. Agostino zu Arezzo.
Baldovinetti gehörte mit den Peselli und Polla-
j uoli zu der Gruppe florentinischer Maler, die sich
zu jener Zeit mit besonderem Eifer um die Ver-i
vollkommnung der malerischen Technik bemüh-
ten und, der bisherigen Temperarnalerci gegen-
iiber, durch Anwendung neuer Bindemittel eine
lebhaftere Wirkung, mehr Glanz und Tiefe und
eine größere Dauerhaftigkeit der Farbe erstreb-
ten. Das Neue ihres Verfahrens bestand im We-
scntlichen darin,dass sie zugeich mit denVehikeln
der Tempera auch ölige und harzige Substanzen
als Bindemittel anwandten, und. zwar vornehm-
lich, wie es scheint, die längst bekannte, aber bis-
her nur zum Firnissen gebrauchte verniee liquida,
ein in Leinöl durch Kochen aufgelöstes Harz
(Sanderae). B. hat nach Vasarfs Bericht diesen
mit Eigelb versetzten Firniss auch bei Wand-
malereien als Bindemittel benutzt; von den
Fresken in S. Trinita sagt Vasari ausdrücklich:
Abozzö a fresco e poi lini a seceo, temperando i
colori con rosso d'uov0 mcscolato con vernice
liquida fatta a fuoeo. Hinsichtlich der Haltbar-
keit haben sich diese Malereien nur wenig be-
währt; die neue Farbenmasse, bemerkt Vasari,
war von so zäher Beschaffenheit und so dick
aufgetragen, dass sie an vielen Stollen abblät-
terte. Wahrscheinlich hatte B. auch schon bei
jener früheren Freske in der Annunziata (nach
Vasari: una storia a fresco e ritocca a secco) das-
selbe Verfahren angewendet; von dem Gemälde
ist fast nur noch die Zeichnung und Untermalung
übrig, die obere Farbenschicht ist beinahe völlig
abgesprungen. Besser hat sich das 'l'afelbild in
den Uffizien erhalten; doch zeigt sich auch hier,
dass das neue Bindemittel noch mangelhaft, ins-
besondere zu schweriiiissig war, und namentlich
bei der Modellirung größerer Partieen noch
große Schwierigkeiten verursachte.
Mit der seit Paolo Uceelli immcrbestimmter
hervortretenden realistischen Richtung der flo-
rentinischen Malerei standen diese technischen
Neuerungen in unmittelbarem Zusammenhang;
am meisten erwiesen sie sich derselben vortheil-
haft, sofern das neue Bindemittel der malerischen
Durchführung ungleich mehr in's Detail zu gehn
gestattete , als die alte Temperateehnik. Die
Sorgfalt in der Behandlung der Einzelformen,
die Genauigkeit namentlich in der Schilderung
der unlebcndigen Dinge hebt Vasari bei B. be-
sonders hervor. Das Gemälde der Annunziata
war nach seiner Beschreibung von so minutiöser
Ausführung, dass uman die Halme und Knoten
des Strohes zählen konnten; von dem Fleiss, den