Volltext: Appiani [i. e. Andreas] - Domenico del Barbiere (Bd. 2)

474 Antonio Averulino. 
 
Mächtige, reich angeordnete Gliederungen in 
Terrakotta scheiden die beiden Stockwerke von 
einander. Kolonnaden (Loggien) umschliessen 
auch, wie erwähnt, die beiden Stockwerke des 
großen, sowie der kleinen Höfe; auf den schlan- 
ken, zarten Säulen erheben sich schwerlastend 
die reichen Karniese. Zu Averlinds Zeit kam 
noch der ganze Kreuzgang (Crociere) der einen 
Seite zu Stande, und noch findet sich hier das 
alte ursprüngliche Portal, zu dem man auf Stu- 
fen cmporstieg, und das dann in das schlichte 
aber durchaus angemessene und ansprechende 
Innere führte. 
In dem Werke, das Averlino über Architektur 
geschrieben hat, stellte er in Wort und Bild auch 
das Ospedale grande dar und schilderte die Feier 
der Grnndsteinlegung. Auch Cesare Cesariano 
beschreibt den Bau, wobei er sonderbarer Weise 
den Namen des Meisters verschweigt. 
In Verri's Storia di Milano befindet sich die 
Abbildung eines Mailänder Privatpalastes, der, 
im vorigen Jahrh. zerstört, in den Details Gothi- 
sches und Renaissance in derselben Weise wie 
das Ospedale grandc verband, daher Burckhardt 
geneigt ist, auch für diesen Bau Averlino als den 
Meister anzusprechen. Jedenfalls wissen wir 
von ihm selbst, dass ihm der Herzog verschie- 
dene Arbeiten in Mailand übertrug. Auch zu 
den Beratungen über den Dombau wurde er 
herbeigezogen, und für die neue Kathedrale in 
Bergamo hat er den Plan gezeichnet, den Vasari 
rühmt, der aber erst in einer späteren Zeit, 
mannigfaeh verändert, zur Vollendung gelangte.  
Ricei ist der Meinung, dass noch in Averlindsi 
Zeit alle diejenigen Theile des Domes entstan-i 
den, welche als reich ornamentirte Gothik er-i 
scheinen, und namentlich die Sakristci, die Hope 
als sehr sonderbare unächte (spurio) Gothik be-l 
zeichnet.  
Cicognara hat Recht, wenn er von dem frucht-l 
baren Kiinstlergeiste Averulinds meint, dass erl 
gewiss mit Vergnügen die ganze Welt umgebaut" 
hätte. Der Künstler erzählt uns selbst von einer  
wunderbaren Bauidee, die er für den Herzog, 
Sforza sich gebildet hatte, und zu deren Ausfüh-' 
rung er alle Architekten, Bildhauer und Maler 
der vmodernen Kunstc zusammen zu rufen ge- 
dachte. Dabei machte er die historisch interes- 
sante Bemerkung, dass man aber die Maler da- 
für aus der Ferne holen müsse, da nach demi 
Tode des Masaceio, Masolino und Fra Giovanui,  
des Domenico da Venezia, des Franeesco di Pe- 
sello, des zu Lyon verstorbenen Berto (7) und: 
des Andreino degl" Impiecati (Castagno) Italien 
keine hervorragenden Meister mehr besässe. 
W01 sei von den Ultramontanen Giovanui da 
Bruggia (Jan van Eyek) auch nicht mehr am 
Leben, allein unter ihnen gäbe es doch noch einen 
maestro Ruggieri (Rogier van der Weyden) und 
jenen Giachetto Francioso, der seiner Zeit in Rom 
Papst Engen IV. und zwei Männer aus dessen 
Umgebung mit überraschender Lebenstreue ge- 
malt habe, und dessen Werk, vauf Tuch (pannoy. 
ausgeführt, in die Sakristci von S. Maria Soprg, 
Minerva kam. Allein diese Notiz aus der Hand- 
schrift der Palatina enthält einen Fehler; der 
Maler heisst nicht Giachetto, sondern J ean 
Fouquet. (Ungarn) 
Als Filarete zu künstlerischen Schöpfungen 
nicht mehr die Fähigkeit fühlte, beschäftigte 
er sich mit der Schriftstellerei. Kurze Zeit 
nach Leon Battista Alberti, in den J. 146O_ 
1464, hat auch er über die Architektur geschrie- 
ben. Sein Werk umfasst 25 Bücher in drei Thei- 
len und behandelt zuerst die Verhältnisse, Maße 
u. s. w. der Gebäude, wobei durch Gründe, dureh 
Autoritäten und Beispiele erhärtet wird, wie alle 
diese Dinge von der Form und Figur des Men- 
sehen hergeleitet sind: welcher Gedanke sieh 
dann 1558 bei Baccio Bandinelli wiederfindet, 
wenn dieser das Bauwerk als bellissima propop. 
zionc d'un corpo umano definirt (Brief bei Gaye, 
Carteggio). Darauf ist von den Baumaterialien 
die Rede. Der zweite Theil lehrt, wie eine Stadt 
auf das schönste und zweckmässigste angelegt 
werde, und der dritte endlich handelt von neuen 
Formen der einzelnen Gebäude, wie sie durch 
Mischung des Antiken und Modernen entstehen 
können. 
Von dem Werke existiren drei Handschriften, 
zwei italienische und eine lateinische. Die eine 
italienische beiindctsich in der Biblioteca Maglia- 
beechiana zu Florenz. Aus 192 Foliobll. von 
Papier bestehend, zeigt sie nicht nur eine sehr 
schöne Schrift, deren Initialen mit Gold und 
Farben gemalt sind , sondern auch zahlreiche 
Zeichnungen, die einfach mit der Feder gefertigt 
oder kolorirt sind. Auf dem ersten B1. halten 
zwei Putten das Wappen der Medicäer; auch 
das Porträt Averlinds fehlt nicht, das neeh 
Vasari wieder der unvermeidliche Simonc ge- 
macht haben soll. 
Vor dem April 1464 zum größten Theil ge- 
schrieben,  denn der alte GosimoVecchio wird 
noch als lebend erwähnt  wurde dieses Mann- 
skript doch erst nach dessen Tode (1. Aug. 1464) 
vollendet, da gegen Ende desselben von der 
ndegnia memoria di Cosimon die Rede ist. Ueber- 
geben wurde es von dem Verfasser an Piero di 
Cosimo de' Medici, in dessen Familie es noch zu 
Vasarfs Zeit aufbewahrt wurde. Auch der zweite 
italienische Codex ist heute in Florenz und zwar 
in der Biblioteca Palatina. Er enthält 250 Pe. 
pierblL, wurde mindestens von zwei versehie- 
denen Händen geschrieben, entbehrt aller Aql13,_ 
rellmalereien und hat selbst die einfachen 
Federzeichnungen in weit geringerer Anzahl, 
Dieses Exemplar ist wol nur die Kopie des zwei- 
ten Original-Manuskriptes, das wahrscheinlich 
auch im J. 1464 dem Herzog Francesco Sforza zu 
Mailand durch Averlino überreicht wurde. Es 
hatte merkwürdige Schicksale. Die Inschrift uHic 
liber est J eronimi Spannochin in Siena zeigt uns 
bei wem und wo es sich eine Zeit lang aufhielt;
	        
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