52399;
173
konnte. Um so mehr wird es aber einer War-
nung gegen Unterschätzung des Apelles nach
dieser Richtung hin bedürfen. Seine Kunst hatte
noch nichts von dem rein dekorativen Charakter
einer späteren Zeit, was, wenn auch in unge-
schickter Fassung; Plinius (XXXV. 118) ausspricht,
wo er über den Verfall der Tafelmalerei und ihre
Verdrängung durch dekorative Wandmalerei
klagt. Sie hatte ferner nirgends etwas Kleinli-
ches und Genreartiges, sondern es war ihr ein
Verdienst eigen, welches wir nach einem früher
häufiger als jetzt angewendeten Ausdrucke als
"Grösse des Stilsu bezeichnen dürfen. Dafür be-
sitzen wir noeh ein ausdrückliches Zeugniss,
welches man freilich in neuerer Zeit in das ge-
rade Gegentheil hat verkehren wollen (Wust-l
mann im Rhein. Mus. f. Philol. xxm. 476). Pli-
nius (xxxv. 111) sagt nämlich von Nikophanes,
einem Schüler des Pausias, also ungefähr noch
Zeitgenossen des Apelles, er sei elegans et eon-
cinnus, ita ut venustate pauci ei eomparentur;
cothurnus et gravitas artis multum a Zeuxide et
Apelle abest. Indern man hier im Lobe der ve-
nustas eine der Apelleisehen verwandte Charis
oder Anmuth zu erkennen und Anmuth und Er-
habenheit, Charis und Kothurn als natürliche
Gegensätze airffassen zu müssen glaubte, die
einander ausschliessen, hielt man es für noth-
wendig, den zweiten Satz bei Plinius von dem
ersten vollständig abzulösen, und ihn so zu fas-
sen, dass Plinius in einem gänzlich aus dem Zu-
sammenhairge gerissenen Nachtrage dem Zeuxis
und Apelles die Eigenschaften der Hoheit und
Würde geradezu abspreche. Es sollte uns darin,
im Gegensatze zu dem sonstigen Standpunkte
des Plinius, das Urtheil eines griechischen Schrift-
stellers erhalten sein, welcher noch einen Blick
für die innere Entwickelung der hellenisehen Ma-
lerei besessen habe. Allein so gross an manchen
Stellen die Nachlässigkeit des Plinius in der Re-
daktion seiner Notizen auch sein mag, so kann
doch gerade hier ein Urtheil über Zeuxis und
Apelles, welches isolirt und absolut, nicht nur
vergleichsweise ausgesprochen werde, durchaus
keine Stelle finden, und auch der Ausdruck mul-
tum abest weist mit Bestimmtheit auf ein ver-
gleiehendes Urtheil hin. Das Lob der venustas
des Nikophanes erhält aber eine sehr bestimmte
Begrenzung durch die vorhergehenden Worte
elegans et concinnus. Zu dieser eleganten und
zierlichen Anmut bildet nun der Kothurn und
die Gravitas den vortrefilichsten Gegensatz, und
wenn es also heisst; ndie Grösse und der Ernst
seines Stils, oder seiner "Manieru (artis) ist weit
von der des Z. und A. entfernt", so lernen wir
dadurch die Charis des Apelles (und in ver-
wandter Weise die räyyv; des Zeuxis, wie sie sich
etwa in seiner Helena oifenbaren mochte), als'
eine von der des Nikophanes durchaus verschie-l
dene kennen. Schon in der Persönlichkeit desl
Apelles tritt uns nirgends, selbst nicht in deni
anekdotenhaftestcn Erzählungen, ein Zug von
Eleganz und Zierlichkeit entgegen, nirgends ein
Zug von Leichtfertigkeit, von einem Haschen
nach oberilächlichem Effekt; nirgends wird ihm
eines seiner künstlerischen Mittel zum Selbst-
zweck, sondern überall begegnen wir einem
ernsten Streben nach strengster und gründlich-
ster Durchbildung.
Dieses Wesen der Persönlichkeit aber konnte
nicht umhin, sich auch in seinen Werken auszu-
sprechen. Die enge Verbindung der Kunst mit
der Religion war allerdings gelöst und das Stof-
liche des poetischen Inhalts bildete nicht mehr
die Hauptaufgabe der Darstellung. Aber trotz-
dem gestattete die Welt der Erscheinungen noch
iinnner eine hohe Auifassung, eine Auffassung,
lwie sie in der Malerei selbst als deren letztes
lZiel lag. Indem diese Kunst neben der Form der
Dinge und dem Ausdruck der Seele zugleich den
sinnlichen Schein festhält, bringt sie in diesem
nicht minder das Innenleben der (larzustellenden
Gestalt zu 'l'age. Aber dieser sinnliche Schein
wird vergeistigt, von innerem Leben durchdrun-
gen und eben deshalb zu seiner höchsten Schön-
heit gesteigert. S0 war des Apelles" Anadyo-
mene allerdings nicht mehr ein Tcmpelbild im
Sinne der älteren Religiosität; aber sie war das
Bild einer Schönheit und Lust der Sinnlichkeit
ohne Schuld und Reue. S0 mochten seine Bild-
nisse die dargestellte Persönlichkeit zeigen zwar,
wie wir gesehen, nicht ohne Charakter, aber doch
nicht als Charakterbilder im gewöhnlichen Sinne,
sondern in der ganzen Fülle ihres sinnlichen Da-
seins, in einer Wesenheit, welche die Worte
Alexander's über sein eigenes Porträt rechtfer-
tigt: es gebe jetzt zwei Alexander, denunbe-
siegten Sohn des Philipp und den unnachahmli-
chen des Apelles. Auf diesem Wege wurde die
Kunst des Apelles wieder ideal, wenn auch in
anderem Sinne, als die der früheren Zeit, näm-
lich nicht indem sie aus einer geistigen Idee her-
aus schuf und diese Idee mit künstlerischen For-
men bekleidete, sondern indem sie der natürli-
chen Erscheinung ihre ideale Bedeutung durch
den Zauber der Schönheit verlieh und sie in der
Fülle und Vollendung ihres künstlerischen ma-
lerischen Daseins zeigte. Das ist die mit Hoheit
und Ernst gepaarte Charis, welche nicht nur in
der Darstellung alles Stoffliche und alle Noth der
Arbeit tilgt, sondern, indem sie den Schein der
Natur bis zur Täuschung treibt und durch eine
Zauberwelt der Schönheit verklärt, uns sogar
die Forderungen eines bedeutenderen ideellen
Gehaltes ganz vergessen lässt.
Die letzten Betrachtungen sind zum Theil
wörtlich J. Meyer's Charakteristik eines neue-
ren Künstlers entnommen: des Correggio, der
schon längst als nMalei' der Grazienu fast instink-
tiv mit Apelles verglichen worden ist. Die tiefere
Berechtigung dieser Zusammenstellung ergibt
sich aber erst jetzt, wo die Resultate einer kriti-
schen Betrachtung des einen wie des anderen
Künstlers direkt mit einander verglichen werden