Volltext: Appiani [i. e. Andreas] - Domenico del Barbiere (Bd. 2)

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konnte. Um so mehr wird es aber einer War- 
nung gegen Unterschätzung des Apelles nach 
dieser Richtung hin bedürfen. Seine Kunst hatte 
noch nichts von dem rein dekorativen Charakter 
einer späteren Zeit, was, wenn auch in unge- 
schickter Fassung; Plinius (XXXV. 118) ausspricht, 
wo er über den Verfall der Tafelmalerei und ihre 
Verdrängung durch dekorative Wandmalerei 
klagt. Sie hatte ferner nirgends etwas Kleinli- 
ches und Genreartiges, sondern es war ihr ein 
Verdienst eigen, welches wir nach einem früher 
häufiger als jetzt angewendeten Ausdrucke als 
"Grösse des Stilsu bezeichnen dürfen. Dafür be- 
sitzen wir noeh ein ausdrückliches Zeugniss, 
welches man freilich in neuerer Zeit in das ge- 
rade Gegentheil hat verkehren wollen (Wust-l 
mann im Rhein. Mus. f. Philol. xxm. 476). Pli- 
nius (xxxv. 111) sagt nämlich von Nikophanes, 
einem Schüler des Pausias, also ungefähr noch 
Zeitgenossen des Apelles, er sei elegans et eon- 
cinnus, ita ut venustate pauci ei eomparentur; 
cothurnus et gravitas artis multum a Zeuxide et 
Apelle abest. Indern man hier im Lobe der ve- 
nustas eine der Apelleisehen verwandte Charis 
oder Anmuth zu erkennen und Anmuth und Er- 
habenheit, Charis und Kothurn als natürliche 
Gegensätze airffassen zu müssen glaubte, die 
einander ausschliessen, hielt man es für noth- 
wendig, den zweiten Satz bei Plinius von dem 
ersten vollständig abzulösen, und ihn so zu fas- 
sen, dass Plinius in einem gänzlich aus dem Zu- 
sammenhairge gerissenen Nachtrage dem Zeuxis 
und Apelles die Eigenschaften der Hoheit und 
Würde geradezu abspreche. Es sollte uns darin, 
im Gegensatze zu dem sonstigen Standpunkte 
des Plinius, das Urtheil eines griechischen Schrift- 
stellers erhalten sein, welcher noch einen Blick 
für die innere Entwickelung der hellenisehen Ma- 
lerei besessen habe. Allein so gross an manchen 
Stellen die Nachlässigkeit des Plinius in der Re- 
daktion seiner Notizen auch sein mag, so kann 
doch gerade hier ein Urtheil über Zeuxis und 
Apelles, welches isolirt und absolut, nicht nur 
vergleichsweise ausgesprochen werde, durchaus 
keine Stelle finden, und auch der Ausdruck mul- 
tum abest weist mit Bestimmtheit auf ein ver- 
gleiehendes Urtheil hin. Das Lob der venustas 
des Nikophanes erhält aber eine sehr bestimmte 
Begrenzung durch die vorhergehenden Worte 
elegans et concinnus. Zu dieser eleganten und 
zierlichen Anmut bildet nun der Kothurn und 
die Gravitas den vortrefilichsten Gegensatz, und 
wenn es also heisst; ndie Grösse und der Ernst 
seines Stils, oder seiner "Manieru (artis) ist weit 
von der des Z. und A. entfernt", so lernen wir 
dadurch die Charis des Apelles (und in ver- 
wandter Weise die räyyv; des Zeuxis, wie sie sich  
etwa in seiner Helena oifenbaren mochte), als' 
eine von der des Nikophanes durchaus verschie-l 
dene kennen. Schon in der Persönlichkeit desl 
Apelles tritt uns nirgends, selbst nicht in deni 
anekdotenhaftestcn Erzählungen, ein Zug von 
Eleganz und Zierlichkeit entgegen, nirgends ein 
Zug von Leichtfertigkeit, von einem Haschen 
nach oberilächlichem Effekt; nirgends wird ihm 
eines seiner künstlerischen Mittel zum Selbst- 
zweck, sondern überall begegnen wir einem 
ernsten Streben nach strengster und gründlich- 
ster Durchbildung. 
Dieses Wesen der Persönlichkeit aber konnte 
nicht umhin, sich auch in seinen Werken auszu- 
sprechen. Die enge Verbindung der Kunst mit 
der Religion war allerdings gelöst und das Stof- 
liche des poetischen Inhalts bildete nicht mehr 
die Hauptaufgabe der Darstellung. Aber trotz- 
 dem gestattete die Welt der Erscheinungen noch 
iinnner eine hohe Auifassung, eine Auffassung, 
lwie sie in der Malerei selbst als deren letztes 
lZiel lag. Indem diese Kunst neben der Form der 
Dinge und dem Ausdruck der Seele zugleich den 
sinnlichen Schein festhält, bringt sie in diesem 
nicht minder das Innenleben der (larzustellenden 
Gestalt zu 'l'age. Aber dieser sinnliche Schein 
wird vergeistigt, von innerem Leben durchdrun- 
gen und eben deshalb zu seiner höchsten Schön- 
heit gesteigert. S0 war des Apelles" Anadyo- 
mene allerdings nicht mehr ein Tcmpelbild im 
Sinne der älteren Religiosität; aber sie war das 
Bild einer Schönheit und Lust der Sinnlichkeit 
ohne Schuld und Reue. S0 mochten seine Bild- 
nisse die dargestellte Persönlichkeit zeigen zwar, 
wie wir gesehen, nicht ohne Charakter, aber doch 
nicht als Charakterbilder im gewöhnlichen Sinne, 
sondern in der ganzen Fülle ihres sinnlichen Da- 
seins, in einer Wesenheit, welche die Worte 
Alexander's über sein eigenes Porträt rechtfer- 
tigt: es gebe jetzt zwei Alexander, denunbe- 
siegten Sohn des Philipp und den unnachahmli- 
chen des Apelles. Auf diesem Wege wurde die 
Kunst des Apelles wieder ideal, wenn auch in 
anderem Sinne, als die der früheren Zeit, näm- 
lich nicht indem sie aus einer geistigen Idee her- 
aus schuf und diese Idee mit künstlerischen For- 
men bekleidete, sondern indem sie der natürli- 
chen Erscheinung ihre ideale Bedeutung durch 
den Zauber der Schönheit verlieh und sie in der 
Fülle und Vollendung ihres künstlerischen ma- 
lerischen Daseins zeigte. Das ist die mit Hoheit 
und Ernst gepaarte Charis, welche nicht nur in 
der Darstellung alles Stoffliche und alle Noth der 
Arbeit tilgt, sondern, indem sie den Schein der 
Natur bis zur Täuschung treibt und durch eine 
Zauberwelt der Schönheit verklärt, uns sogar 
die Forderungen eines bedeutenderen ideellen 
Gehaltes ganz vergessen lässt. 
Die letzten Betrachtungen sind zum Theil 
wörtlich J. Meyer's Charakteristik eines neue- 
ren Künstlers entnommen: des Correggio, der 
schon längst als nMalei' der Grazienu fast instink- 
tiv mit Apelles verglichen worden ist. Die tiefere 
Berechtigung dieser Zusammenstellung ergibt 
 sich aber erst jetzt, wo die Resultate einer kriti- 
schen Betrachtung des einen wie des anderen 
 Künstlers direkt mit einander verglichen werden
	        
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