Apelles.
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als Mittel der Charakteristik auch bei den ver-r
sehiedenen Figuren im Bilde der Verleumdung
vorausgesetzt werden.
An dem Bilde des auf einem Auge blinden
Antigonus wird als ein besonderes Verdienst
hervorgehoben, dass er auf eine neue Weisei
diesen Fehler zu verstecken gewusst habe:
obliquam namque feeit: Plin. XXXIX. 90; vgl.
Quintil. n. 13, 12. Wäre damit nur eine Dar-
stellung in einfachem Profil gemeint, so würde
darin nichts Neues und Absonderliches liegen,
und es scheint daher nur folgende Erklärung
übrig zu bleiben. Man gab in der Porträtmalerei
der Vorderansicht den Vorzug, bei welcher der
Dargestellte den Beschauer anzublieken schien.
Indem aber Apelles den Antigonus ganz oder
fast ganz in Protil malte, liess er doch das Auge
seitwärts aus dem Bilde herausblieken, wonach
also obliquam feeit so zu deuten ist, dass Anti-
gonus den Beschauer nicht reeto , sondern obli-
quo, in latus deflexo oeulo aspiciebat (vgl. For-
cellini v. obliquus) und der Künstler nur eam
partem, d. h. hier das Auge, e facie ostendit
quam totam poterat ostendere. Noch um einen
Schritt weiter geht der vabgewendeteu Herakles,
indem an ihm trotz dieser Stellung der Charakter
des Gesichts erkennbar blieb.
Wenn es nun bei solchen und ähnlichen Pro-
ben der Virtuosität besonders auf die Sicherheit
und Richtigkeit in der Begrenzung der Formenl
in ihren verschiedenen Lagen durch die Zcich-l
nung ankam, Wovon wol die mit einfachen Kon-
turen hergestellten Figuren der iieoronischen
Ciste den besten Begriff zu geben vermögen, so
tritt doch in ausgeführter Malerei als ein nicht
minder wichtiges Element die Modellirung der
Form durch Licht, Schatten und Reiiexe, durch
das Hel l du nk el hinzu. Was nach dieser Rich-
tung die Sehule von Sikyon leistete, zeigen na-
mentlich die Werke des Pausias; Apelles aber
bleibt dahinter kaum zurück. Von seinem blitz-
tragenden Alexander heisst es, die Finger schei-
nen aus der Tafel hervorzutreten und der Blitz,
sich ausserhalb der Tafel zu befinden 1 Plin. xxxv.
92. Damit ist aber weiter zu verbinden, was Plu-
tarch (Alex. 4) über die Körperfarbe in diescml
Bilde bemerkt: während dem Alexander ein,
weisses, nur gegen die Brust und im Gesicht ge-
röthetes Kolorit eigenthümlich gewesen, habe
ihn Apelles in einem dunkleren und schmutzi-
geren Tone gemalt: gewiss nicht, weil er die
natürliche Farbe nicht wiederzugeben vermocht
hätte; denn an einem anderen Porträt, dem der
Pankaste, wird gerade die nicht zu weisse, son-
dern leieht wie vom Blute geröthete Karnation,
als mustergültig erwähnt; sondern es muss sich?
hier um eine Art des Helldunkels gehandelt ha-
ben, durch welches gerade jenes Hervortreten
des Blitzes unterstützt wurde, wobei wahrschein-
lieh noch ein besonderes technisches Verfahrenl
in Betracht kam. Ein cigenthiimlicher, von kei-l
nem anderen Maler erreichter Vorzug scinerl
Werke beruhte nämlich darauf, udass er die fer-
Itigen Arbeiten mit einem so dünnen Schwarz
(wahrscheinlich dem von ihm erfundenen Elfen-
lbeinschwarz: Plin. xxxv. 42) überging, dass bei
der Durchsiehtigkeit desselben die darunter lie-
lgende Farbe einen anderen Ton annahm und zu-
gleich vor Staub und Schmutz geschützt wurde,
obwol man die Schwarze erst bei ganz genauer
Betrachtung erkannte. Dieses Verfahren war
sehr wol darauf berechnet, dass die Helle der
Farben das Auge nicht verletze, indem man sie
nun wie durch ein Glas gebrochen ansehautc,
und dass aus der Ferne betrachtet die zu grellen
Farben dadurch unvermerkt einen ernsteren Ton
erhieltenc: Plin. xxxv. 97. Gewiss handelte es
sich hier nicht um einen biosseir dunkeln Firniss,
mit dem das ganze Bild überzogen wurde, son-
dern um ein sehr entwickeltes System von La-
suren, auf welchem die Vermittelung der Ueber-
gänge, das Abdampfen der Schärfen, die Klar-
heit des Helldunkels, überhaupt die letzte und
höchste Harmonie der Licht- und Schattenwir-
kung beruhte. Nur durch solche Mittel war es
möglich, die Lichteifekte, ohnc welche die Dar-
stellungen der Blitzerseheinungen auch in der
wollendetsten Charaktcrisirung durch mensch-
liche Personifikationen ihre Wirkung hätten ver-
fehlen müssen, zu lebendiger Anschauung zu
bringen: und ebenso wird der vielgepriesene
Zauber des Haares der Anadyomenc, aus wel-
chem die Göttin die Feuchtigkeit und den Schaum
des Meeres ausdrückte, auf diese Durchsichtig-
kcit der Lasuren zurückzuführen seien.
Wenig erfahren wir über das K olorit im en-
gercn Sinne. Denn was über die Erhitzung der
Verleumdung, über die Blässe des Neides bemerkt
wird, betrifft nicht die malerische Wirkung, son-
dern die Farbe als Mittel der Charakteristik; und
das Schweigen unserer Quellen, selbst der Anek-
dote, dürfen wir daher wol in dem Sinne deuten,
dass das Verdienst des Apelles nicht in der Farbe
an sich, sondern in der Farbe unter dem ver-
schiedenen Einiiusse von Licht, Luft und Schat-
lten zu suchen ist. Uebertreibung und Missver-
standniss mögen allerdings den nicht einmal un-
ter einander übereinstimmenden Angaben zu
;Grundc liegen, dass Apelles nur mit nVlGP Far-
benn seine unsterblichen Werke ausgeführt habe
Plin. xxxv. 50 u. 92; dagegen vergl. Oie. Brut.
18; Fronto ad Veruin 1. Doch mögen sie wenig-
stens so viel Wahrheit enthalten, dass das Far-
benmaterial selbst eines Apelles im Verhältniss
zu der späteren Zeit als ein noch relativ einfaches
bezeichnet werden durfte, etwa wie das eines
{Rafael und Correggio zu der Malerei unserer
frage. Nicht überflüssig wird endlich an dieser
iStellc die Bemerkung sein, dass Apelles zu den
lTernpcramalern gehört und die eifektvollere En-
kaustik ihm fremd war; denn die einzige Erwäh-
Wnung Apellefschcn Wachses bei Statius (Silv. I.
1, 100) ist ein rein poetischer Ausdruck.
In allen diesen Nachrichten tritt uns also Apel-
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