Michel Angele Amerigi. 617
gelassen, nachdem der Irrthum sich aufgeklärt, setzen, indem er ein hoch einfallendes Licht an-
sieht er nach seinem Sehiüe sich um und muss nahm, das wie Blei auf die Hauptpartien des
nun entdecken, dass es sammt seiner Habe ver- Körpers herabsank und das Uebrige in Schatten
schwunden ist. Verzweifelt läuft er, um nach liess, um durch die Macht von Hell und Dunkel
dem Fahrzeuge auszuspähen, in der brennenden der Wirkung Kraft zu geben. Von dieser Neue-
Sonne am Ufer hin und her; vergebens, nirgends rung eingenommen, liefen die Maler in Rom,
davon eine Spur. Ermattet und trostlos macht insbesondere die jüngeren, ihm zu, priesen ihn
er sich zu Fusse auf nach Porto Ercole. Dort als den einzig wahren Nachahmer der Natur, und
aber angekommen, wird er von einem hitzigen seine Werke als Wunder anstaunend, suchten sie
Fieber auf" s Krankenlager geworfen und schon um die Wette es ihm nachzuthun, indem sie nach
nach wenig Tagen, verlassen, einsam und hülf- Modellen malten und das Lieht von Oben nah-
los, eine Beute des Todes. So starb er, erst mena. Eine solche Malerei stand nicht nur zu
40 Jahre alt, im J. 1609. vEr endete schlechtu, der lärmenden Färbung der Manieristen, sondern
meldet ein alter Bericht, nwie er gelebtn; auch zu den ernsteren Bestrebungen der Caracci
Abenteuer, die er immer gesucht hatte und imvollen Gegensatzc.wErnimmteinenggeschlos-
selber schliesslich wehrlos erleiden musste, ga- senes und herabfallendes Licht, sagt einmal
ben ihm den Rest. Annibale, und ich möchte es offen und gerade
von der Seite haben. Er bedeckt die Schwierig-
III- Seine Zweite Knnsiwnire- Ihre Bniinninnß nnii keiten der Kunst mit den Schatten der Nacht,
ihr Eilliinßi- und ich möchte in einem klaren Tageslicht die
Es ist merkwürdig, wie dem Leben des M31- gründliehsten Studien (der Form) zum Vorschein
sters seine Kunst insbesondere in ihrer zweiten hringenn Nniiiriinh geht nnn die Farbigkeit
Periode entsprach Von niederen] Entkommen, seiner ersten Periode ganz verloren; er wird in
ohne Bildung aufgewachsen, wie es der Zufall den Schritten Schwarz, in den Lichtern 81'911 und
der Umstände mit sich brachte, fast innnel- in vernachlässigt so oder verschmäht vielmehr, in-
misslichen Verhältnissen, am liebsten in Gesell- dein er iiir den Verinsi der Vniien Fnrhn n-nnh
Schaft von Vagabunden und in einem wilden nicht durch das Hclldunkel entschädigt, das wie
Leben rastlos umgetrieben, dabei heftig und z. B. bei Rembrandt auch in tief gehaltenen
leidenschaftlich bis zum Uebermaß, wollte und Biiiißrn Seinen Zauber hat, den eigeniiinhen
fand er für die Ausbildung seines grossen Ta- Reiz der Maierei- Fnni immer iniingeii Sei"
lents keine andere Leitung, keine andere Regel nen Biiiiern ans der Spiiieren Zeit Dnrnhnihh"
als die Natur_ Und zwar die Natnr, wie er sie tigkeit und Lufttiefe. Uebrigens fehlte ihm die
im ausgesprochenen Gegensatz zu jeder Ideali- Fiihigknii malerischer Dnrsiniiiinä auch diirnniß
tät in der gemeinen Wirklichkeit fand, die ihm nicht; S0_heiindßt filnh irn Pninzzo innihl In
allein behagte. Bezeichnend ist, wie er sein Gehirn ein meriiviihriiiges Bild Von ihm, _Di9
eigenes Bildniss darstellte: in zerlumptem An- Bßkehrnng Pnhh, in iifir Auffassung 30 irivini
zug, fast ganz vom Rücken gesehen, also mit niS inöghch, aber Wiriihßh Schön nnngeiiihri, Vnn
verlorenem Profil, aber vor sich den Spiegel Scharfer Zeichnung, Wnrinern Fnrheninn. he-
haltend, worin sein nicht unschönes, doch wildes Sißßhendern Hniiiinnkei, nnii iinrnhsinhtigeni
Gesicht fast ganz von vorn erscheint: neben Snhniien- ES Wnr 3150 fest nngenornrnener V01"-
ihm ein Todtenkopf. Der letztere ist nicht zu- Saiz und Eigensinn Seiner Nninr nach ihrer diir
fällig, er gehört zu dem Mamm Denn wie durch steren Seite hin, wenn er jene andere Weise
sein Leben, so geht durch seine Kunst ein düste- llnnlnr entschiedener durchführte.
rer und leidenschaftlicher Znä Indessen wusste er durch jene Kontraste von
Seine Zweite Manier hiii das Eigenihiiniiißhe scharfen Lichtern und tiefen Schattenmassen
einer ganz besonderen Weise der Beiennhinng, Wirkungen von besonderer Kraft zu erreichen;
die mit jenem iinnhien Element in Seinem We- wie plötzlich beleuchtet springen die wesent-
nen ganz irn Einkihng Sieht nnii die durchweg liehen Partien seiner Figuren aus dem dunklen
sein Kolorit bestimmt, nachdem er die klare Grunde dem Beschauer entgegen, Der unhgim-
Färbung der ersten Periode aufgegeben. Es ist, liebe Gegensatz passt dann wieder vortrefflich
wie man schon früher bemerkt hat, wie wenn zum Ausdruck gewisser Empfindungen und
das Licht von Oben in einen Keller üele oder solcher Vorgänge, die in die Nachtseite des Le-
sich die Figuren in einem Kerker bewegten; bens fallen; sei es dass es sich um die Darstel-
grell sind einzelne Partien beleuchtet, während lung falscher Spieler und würfelnder Lands-
alle anderen, fast schwarz und farblos, plötz- knechte handelt, deren wilde Typen und Ge-
lich, ohne die Vermittlung der Halbtöne und berdcn uns die Nähe von Mord und Todtschlag
eines iiberleitenden HelldunkePs, in den düste- ahnen lassen, oder, wie in dem schon genannten
ren Grund zurücktreten. Das hat schon Bellori Bilde des Todes Mariä, um die Vergegenwärti-
ausdrücklich hervorgehoben: wer liess seine Fi- gung des Schmerzes in den umgebenden Figu-
guren nicht in das offene Sonnenlicht heraus- ren. Denn auch das verstand C. wol, Jammer
treten, sondern fand eine Manier, sie in die und Schmerz zu lebendigem Ausdruck zu brin-
dunkle Luft einer verschlossenen Kammer zu gen. Diese Apostel, welche die Jungfrau bewei-
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