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lung gymnastisch ausgebildeter Körper. Zudem dig verloren; seine helle und in's Kalkige spie-
fehlt es nicht unter den Teufeln an geschmack- lende Färbung, oft in der Karnation nur mit
losen Zuthaten, an Ungethümen mit hängenden Roth wie geschminkt, dient bloss dazu, den pla-
Brüsten und dergLSo urtheiltefreilich die eigene stischen Charakter der Formen überall recht
Zeit des Künstlers nicht, die wie wir ja auch deutlich hervorzuheben. Da aber doch die feine
von Vasari wissen, jede Virtuosität der Darstel- Abtönung in die Schatten fehlt, so mangelt den
lung bewunderte. Bocchi (s. die Literatur), der Körpern die Rundung. Ein solches Kolorit hat
das Bild ausführlich beschreibt, weiss es nicht natürlich Nichts von Stimmung und malerischen:
genug zu rühmen und zu erheben. Er berich- Reiz. Nur ausnahmsweise ist sein blonder hel-
tet uns auch , dass darin der Meister einige sei- ler Charakter nicht ganz (ihne Anmuth. Die Be-
ner Zeitgenossen und Freunde durch ihre Bild- handlung ist sehr geschickt, mit Fleiss und
nisse verherrlicht habe; so seinen Lehrer Pon- Sorgfalt verschmolzen, hat aber etwas allzu
tormo (neben Johannes dem Täufer) , den Poe- Glattes und Gläsernes.
ten Gio. Batt. Gelli und einige schöne Frauen, Nieht viel Wirksamer sind die niytheleei_
darunter die Gattin des Gio. Batt. Doni. Auch sehen nnd elleeerisehen Darstellungen des
in den anderen religiösen Tafeln Bronzinds zeigt Meisters r deeh i-end hier seine Neigung zn neek_
sich dasselbe manierirte Formenspiel; sein Chri- ten Formen ein günstigeres Feld Für die Giit-
stus vor Magdalena (im Louvre) geht in der tän" tinnen des Alterthums, wie insbesondere die
zerhaften Bewegung der Figuren bis in's Grot- Sniit_Reneissnnee sie sieh Verstellte] wer. die
teske. Uebrigens stiess sich die Kirche nur an Kiirnersehönlieit in mannigfaltiger Bewegtheit
der Nacktheit der Figuren; dass in allen, auch deeh die Hauptsache; nnd die allgemeine vor-
den bekleideten, nicht mehr der kleinste Rest liebe für dergleichen Bilder kam dem Künstler
von religiöser Empfindung war, merkte sie gar anregend enteegeir Aneh Wer Bronzino hier
nicht. Es ist bezeichnend, dass in derselben eher heniiiht netiirliehe Anninth in die Bewe_
Kirche S. Croce, darin die Darstellung des gnnezn bringen. wnsihrn i-reiliehwenie gelang,
Christus in der Vorhöllc verdammt wurde, da 31' andrerseitls das Gewaltsame und Unge-
ellle liietä desselben Mnlsliers bel den All" wöhnliche der Stellungen nicht aufgeben wollte.
dachtlgen glnsse Verehrung fand: Obwol S19 Denn auch hier war es ihm darum zu thun, seine
dasselbe weltliche und manierirte Wesen zeigte. Kunst sein Verstiindniss der Ferrn Zn zeigen
Etwas elflenllcllel als jene Blldel" Slnd Bezeichnend vor Allem für diese Gattung seiner
seine Darstellungen der Madonna, der hl. Fa- Werke ist des sehen erwähnte Bild der Lene
lnllln (lm BelVedeTC Zn Wlenl und der Vel" doner Nationalgalerie; Venus und Amor sich
kllndlgnng (in den Ufflzlßll), da hier Gnbnrde liebkosend. Die Göttin halb sitzend mit unter-
und Stellung einfacher gehalten sind; allein ohne geschlagenen Beinen irendet den Oberkörper.
Mnnlel sind auch Sie nlßnt- mit höchster Gelenkigkeit, um den Kuss von
Diesen Nacktheiten aber einen zweideutigen Amor zu empfangen, der sich seinerseits gleich
Reiz zuzuschreiben, ist schon desshalb irnge- einem vollendeten Gymnasten ihr zuwindet. Man
rechtfertigt, weil der Künstler, auch in seinen hat behauptet, das Motiv sei einer Zeichnung
jungen Frauen und Kindern, es zum Reiz iiber- des Michelangelo entnommen, von dem bekannt-
haupt nicht brachte. Nicht bloss, dass dieser lich eine ähnliche Darstellung in verschiedenen
nicht in seiner Absicht lag; sondern das Anmu- Wiederholungen (Kopien) sich findet; doch ist
thige und Reizende, welcher Art auch, lag nicht die Anordnung des Bronzino zu manierirt, um
in seinem Talente. Eine gewisse akademische von Michelangelo hcrzuriihren, und überdies
Strenge und Härte ist in ihm ein vorwaltender hätte Vasari eines solchen Umstandes sicher ge-
Zug; und insofern meinte Lanzi nicht mit Un- dacht. Die der Szene beigegebenenallegorischen
recht, dass seine Kirchcnbilder weit besser in Figuren beschreibt Vasari nicht ganz richtig.
eine Zeichnungsakademie nach dem Nackten als Die Freude streut über die Hauptgruppe Rosen
über einen Altar passten. Schon die Festigkeit aus; hinter Venus stehend deckt Die Zeit Die
und Bestimmtheit der Form, auf welche er aus- Eifersucht auf, während eine andere Gestalt
geht, bedingt eine gewisse Härte der Erschei- vielleicht Die Leidenschaft dem zärtlichen
uung, welche das Reizvolle ausschliesst. Beson- Paar eine Honigscheibe darreicht, zugleich aber
ders seine Männeriiguren sind öfters wie aus Holz mit einem Stachel droht. Derartige moralische
geschnitten. Dazu sind seine Kompositionen Anspielungen liebte die Zeit, ohne es gerade sehr
meistens überhäuft, um den Körper möglichst ernst damit zu nehmen; denn sie gaben im
von verschiedenen Seiten zu zeigen; ein Prun- Grunde nur willkommenen Anlass zu weiterer
ken mit Formen, das von vornhein eine wärmere Entfaltung nackter Formen. Die Häufung der
Wirkung unmöglich macht. Stärker noch tritt Figuren in knappem Raume findet sich auch auf
diese Kälte und Nüchternheit der Empfindung diesem Bilde. Die Kunst der Anordnung sollte
in der Malerei des Meisters zu Tage. Die hohe sich darin zeigen, dass auf enger Fläche mehrere
Ausbildung des Kolorits, welche für die Floren- Körper, ineinander sich fiigend, ihren passenden
tiner Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto Platz ünden; was dann wieder Anlass gab ihre
erreicht hatten, ist bei ihm wieder fast vollstän- Glieder mannigfach zu drehen und zu wenden.
Meyer, Künstler-Lexikon. I. 63