Anfgnio Allegri.
sen Linienrythmus gibt Correggio zwar nicht sicherheit und seine breite Modellirung, welche
ganz auf, aber er stellt ihn in die zweite Linie die plastische Ausbildung des Muskelwesens
hinter ein anderes Prinzip der Harmonie. Es er- vermeidet, für Inkorrektheit nahm. Nichts fal-
hcllt von selbst: sollen die Figuren jede täu- scher als dieser Begriff der Zeichnung in der
schend auf einem anderen Plane im vertieften Malerei, der die Scharfe des Umrisses und das
Raume erscheinen, so hat das Auge kein Bediirf- Hervortreten des anatomischen Details für we-
niss mehr, ihre Linien wieder auf einem und sentliehe Bedingungen erklärt. Davon findet
demselben Plane zu einem Ganzen zusaminen- sich freilich nichts in Correggio. Allein seine
zufassen. Gestalten zeigen eine Kenntniss des Körper-
Nach demselben Gesetze behandelt der Mei- baus, eine Sicherheit der Bewegung, eine Ge-
ster die einzelne Figur für sich. Alle wandtheit, auch ungewöhnliche Lagen der Glie-
seine Gestalten haben eine grössere oder gerin- der zu versinnliclien, die selbst von Michel-
gere Bewegtheit, eine Ungebundenheit der Ge- angelo nicht übertreffen worden. Nur wer die
bei-den und Stellungen, eine koutrastirentlc Man- Form vollkommen beherrscht, der vermag auch
nigfaltigkeit in der Haltung der Glieder (ent- schwebende Figuren mit solcher Täuschung dar-
spreehend der Mannigfaltigkeit in der Anordnung zustellen und die seltsamen Verschiebungen der
des Ganzen), welche sich neben ihm nur noch in Formen die an der Doinkuppel sogar den
Michelangelo findet. Beide Meister überschreiten kundigen Mengs erstaunten so richtig zu tref-
hierin das ruhige Gleichmass, welches die Flo- fen, dass das Auge ohne Weiteres den Eindruck
rentiner und Rafael einhalten; hierin lag auch der Wahrheit empfängt.
der malerische Zug, welcher Michelangelo kenn- Dass Correggio mit seiner Anordnungsweise
zeichnet, nur dass dieser in der anatomischen die näheren architektonischen Bedingungen
Durchbildung der Einzelformen Plastiker blieb. der monumentalen Kunst verletzt, zeigte schon
Mit dieser Bewegtheit war die Strenge der Linie die Betrachtung seiner Werke. Ihm ist der ge-
nllßh in der einzelnen F ignf gebrßchßn; im Ein- schlossene Rahmen, welchen die Architektur
klang mit dem Fluss der Bewegung herrschte bildet, sei es die wirkliche welche die Darstel-
bei Üßrfeggio S0 Sehr die geschwungene Linie lung einfasst, sei es die vom Maler selber künst-
vor, dass die gerade fast absichtlich vermieden linn vorgestellte, nichts als eine nennnende
scheint. Selbstverständlich schliesst diese Dar- Snnl-nnke_ E1- gibt am liebsten seinen Gestalten
stellungsweise die statuarische Ruhe der älteren freien Spiglraum in ungemesscner Weite; um
Heiligengestailten aus. sie aufschweben zu lassen in den Aether des
Indem weiterhin Correggio den so mannigfach Himmelsgeivölbes, sprengt er in den Kuppeln
bewegten Körper vollkommen im Raume an sei- zu Parma die Decke. Diesen lebensfrohen Ge-
nem Platze erscheinen lassen will, muss er ihn schöpfen würde es zwischen Wänden und Mauern
darstellen , wie er in der Natur dem Auge aus zu enge werden; und wie sie keinen Zwang dul-
einem bestimmten Gesichtspunkte sich darbie- den, der die Glieder in ein festes Maß einschnü-Ä
ten würde: d. h. er verkürzt ihn in allen ren würde, so wollen sie auch im Raume gren-
Seinen Formen. Wir haben gesehen, mit zenlose Freiheit haben.
welcher Folgerichtigkeit er diese Verkiirzungen Correggio gibt also die Strenge und Feierlich-
bis zum Aeussersten trieb; die Kuppehnalereien keit der älteren Kunst, überhaupt den dieser
zu Parma, durchweg aus der Untensicht genom- eigenthiimlichen idealen Charakter vollständig
nlen, geben dafür mit ihren "plnfünnirenßlßns auf. Allein er bietet dafür mehr als einen Er-
Engeln und Heiligen die schlagenden Zeugnisse. satz; zunächst die überzeugende N atürlich-
Da alle Gestalten als nach oben schwebend er- kein der Darstellung Je weiter die Male-
Scheinen sollen, lässt sich diese Darstellungs- i-ei sich entivinkelt, je mehr sie die herkömm-
weise bis zu einem gewissen Grade rechtfertigen. liehen typischen Formen verlässt: um so mehr
Allein sie leistet hier in der Naturwalirheit mehr, strebt sie die Wahrheit der Erscheinung bis zur
als unser Auge erwartet; denn wir sind ge- Täuschung zu treiben. Correggio ist kein Rea-
wohnt, die Dinge vor uns, dem Blick gegenüber list, denn keineswegs will er eine bestimmte
zu sehen , und stellen uns daher auch was über Wirklichkeit in ihren besonderen Zügßn Wieder-
uns vorgeht kaum anders vor. Zudem geht hier geben. Sondern seine der christlichen oder der
von anderen schon berührten Nachtheilen ab- antiken Sage entnommenen Stoffe übersetzt er
gesehen die Täuschung zu weit und wider- einfach in menschliche. Vorgänge und Zustände,
spricht jenem Gesetz, dass die von der Kunst darin sich ein allgemeiner Lebensinhalt rein und
geschilderte Welt das Recht eines in sich selbst voll ausprägt, gibt ihnen aber die Kraft und
beruhenden, von denBedingIingen deswirklichen Gegenwart natürlicher Erscheinung. Und dies
Raums unabhängigen Daseins hat. mit allen Mitteln, über welche seine Kunst über-
Wunderbar aber ist die Meisterschaft, welche hauPt z" Verfügefl hat" Das bewles uns 5911911 in
Correggio in (liegen Verkiirzungen bezeugt. In allen Stücken seine Behandlung der Form. B6-
seiner Zeichnung hat man öfters Mängel fin- sonders aber erreichte er Jenen uberzeugenden
den wollen, weil man die Freiheit seiner Linien- Naturschein durch die eigentlich m al erisch en
fiihrung, welche den Kontur auflöst, für Un- Mittel, welche ja auch die Form erst vollen-