Niccoläßl? 515323;
Fast unbegreiflich scheint heutzutage, wie da-
mals die Zeitgenossen sowol als die Nachkom
men bis ins 18. Jahrh. hinein die Arbeiten Nic-
colöfs aufs Höchste bewundern konnten. Mal-
vasia nennt ihn ein grosses Genie, vollkommen
in der Zeichnung, in Licht- und Schattengebung,
Vedriani ein Wunder in seiner Kunst, und Sca-
nelli berichtet, dass seine Werke in Modena wie
Malereien von Rafael erschienen seien. Auch
Vasari ist mit seinem Lobe nicht sparsam. Aber
auch die Caracei, die ja dem schon in Niceolo
sich ankündenden Manierismus mit allen Kräften
entgegen zu wirken suchten, sind enthusiastische
Verehrer des Meisters. Aus seinen Fresken im
Palast Torfanini machten sie ein besonderes
iStudium, und in jenem bekannten Sonett Ago-
stinds, das als das Ideal des Malers die Ver-
{einigung aller charakteristischen Vorzüge der
grossen Meister aufstellte, wird schliesslich nNic-
colinou als das naehahmenswerthe Muster geprie-
sen, das dieses Ziel schon erreicht habe. Um so
merkwürdiger, als die Caraeci von dem gesuch-
ten Reiz dieses Meisters als ausübende Künstler
sich frei gehalten haben. Was sie an diesem an-
zog und über seine Mängel täuschte, das war
otfenbar seine Vermischung des eorreggesken
Stils mit der Formengebung und der Kompo-
sitionsweise der römischen Schule. Und aller-
dings ist die, Nachwirkung dieser Vorbilder in
dem Adel mancher Gestalten nicht zu verkennen,
auch dem Maler eine gewisse Tüchtigkeit der
Darstellung nicht abzusprechen. Das bezeugt
auch das Dresdner Bild. Zudem ist in seiner
Phantasie ein überquellender Zug, in seiner
Kunstweise ein Nebeneinander von aufdring-
licher Kraft und verfeiuerter Zierlichkeit,
endlich ein Schein von Meisterschaft, der den
Gründern der bolognesisehen Akademie im-
ponirte.
III. Berufung nach Frankreich. Malereien in Fontainebleau.
Unserm Niceolb aber ging es in Bologna, trotz
seines zunehmenden Rufes, immer noch schlecht
genug. Da trat der Wendepunkt in seinem Le-
ben ein, der ihn nach Frankreich führte, dort zu-
Ansehen brachte und ihm für den Rest seiner
Tage eine sorgenlose Existenz bereitete. Ve-
driani berichtet, Primaticcio habe zufällig auf
bolognesischem Gebiet Kirchengemälde von Nic-
colo's Hand gesehen und sie in hohem Grade
bewundert. Zu seinen ausgedehnten Arbeiten,
die er fortwährend für den französischen Hof
im neuen Schlosse zu Fontainebleau auszuführen
hatte, bedurfte er eines weiteren tüchtigen Ge-
hülfen, der mehr wäre als bloss dienende Hand;
Niceolo mag ihm dazu um so tauglicher er-
schienen sein, als er bei ihm eine Gewandtheit
derFrescomalerei fand, deren er selber sich nicht
rühmen konnte. Auf Primaticeids Veranlassung
also nach Frankreich berufen, reiste Niecolo am
25. Mai 1552 dahin ab. Er fand die beste Auf-
nahme und gleich Anfangs günstige Arbeit ; bald
welcher drei Bilder zerstörte) auf Leinwand
übertragen und von Goldoni Carlo restaurirt.
Eines derselben, Deckenbild in Medaillonform,
stellt eine musikalische Gesellschaft dar, in
Halbfiguren rings im Kreise gruppirt; es sind
die Glieder der Familie Bojardo, denen damals
das Schloss gehörte, bei heiterem Spiel und Ge-
sang, darunter die jugendlichen hlänner- und
Mädehengestalten von jener freien und doch vor-
nehmen Anmuth, die den edlen Geschlechtern
der Renaissancezeit eigen war. Von den zwölf
Fresken, welche in demselben Zimmer Scenen
aus den zwölf Gesängen der Aeneide darstellten,
sind noch neun erhalten (s. Stiche N0. 4) ; ausser-
dem Bruchstücke von Figuren undLandschaften,
einige vielleicht zu einem Bildercyclus aus dem
Orlando des Ariost gehörig, der ebenfalls in Scan-
diano in einem Säulengang gemalt war (Figuren
von ein Drittel Lebensgrösse). Jene Kompositio-
nen zeugen von Reichthuin und Leichtigkeit der
Erfindung und einer gewissen Meisterschaft der
Behandlung; auch finden sich manche reizende
Motive. Allein gewöhnlich sind sie in der Grup-
pirung überhäuft, in den Bewegungen von jener
launenhaften, oft gezwungenen Kraft oder An-
muth, die der damals schon in Manier verfallen-
den italienischen Kunst eigen war. Die Gestal-
ten sind _in der bekannten, überschlanken und
gezierten Weise des Primatiecio und Parmigia-
nino; die Landschaft barock in ihren Formen
und ohne Naturgefühl; die helle Färbung da-
rin es Niccolö dem Correggio naehzuthun meinte
geht in's Grelle und Harte, während umge-
kehrt im Dresdner Bilde die Sehatten und die
tiefen Töne zu schwer gerathen sind.
Zwischen 1547 und 1552 arbeitete unser Maler
auf bolognesischem Gebiet und in Bologna sel-
ber; sein Ruf musste sich damals schon über
seine Vaterstadt hinaus verbreitet haben. Auch
von diesen Malereien hat sich wenig erhalten.
Die Fresken im Palast Torfanini schilderten in
16 grossen Bildern die Geschichte des Tarqui-
nius Superbus, in einer reichen Dekoration von
grau in grau gemalten Göttertermen und von
Stuccoornanienten (s. Stiche N0. 3). Crespi er-
zählt, dass der berühmte Arzt Beecari die Gemälde
3,15 sein bewundernswürdiges Werks von Dome-
nico Fratta in Wasserfarben kopiren liess, als
der Palazzo Torfanini im 18. Jahrhundert ab-
getragen wurde, und diese Zeichnungen bis zu
seinem Tode wie einen besonderen Schatz auf-
bewahrte. Von den Fresken Niccolöis im Palaste
Poggi (jetzt der Universität) hat sich noch ein
Fries, jedoch in kümmerlichem Zustande, erhal-
ten : junge Männer und Frauen in heiterer gesell-
schaftlicher Unterhaltung. Ausserdem in einem
Porticus des Palastes Leoni eine Geburt Christi (s.
Stiche N0. 7 u. S), eines der besten Werke des Mei-
sters u. von Lanzi sehr hervorgehoben, aber nach-
gedunkelt und beschädigt. Die Manier freilich in
der Gruppirung sowie in der gesuchten Anmuth
der Bewegung ist auch hier nicht zu verkennen.