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Antonio Allegri.
iin der Beherrschung und in der Verkürzung der
Formen so rasch zur Meisterschaft hätte kom-
men können: so wenig ist denkbar, dass er ohne
das Vorbild Leonardos so früh schon jene Sicher-
heit in der malerischen Modellirung vermittelst
feiner und überleitender Abstufung der Töne
erlangt hätte. Das berühmte correggeske Hell-
dunkel hat seinen nächsten Vorläufer in Leonardo.
Man sieht: die Eigcnthümlichkeit unseres
Künstlers ist nicht so zu verstehen, als ob er
sich unabhängig von den vorhergehenden Mei-
lstern rein aus sich gebildet hatte. Eine solche
Eigenthümlichkeit ist in einer weiter entwickel-
iten Kunst gar nicht möglich. Sondern hier be-
thältigt sich der eigene Charakter darin , dass er
ldie von den älteren Meistern überkommenen
iDarstellungsmittel benützt, ja sogar ihre An-
sehauung zum Theil in sich aufnimmt, um damit
[aus eigenem Geiste das Leben von einer neuen
Seite zu fassen und in einer neuen Schönheit der
Erscheinung auszuprägen. Auf eine andere Weise
{ist die Entfaltung der Eigenart, ihre Verwirk-
liehung nicht einmal möglich; es wäre, wie wenn
der Körper sich ernähren wollte von seinem
eigenen Fleisch und Blut. Je grösser aber die
individuelle Kraft, um so mehr verarbeitet sie
die aufgenommenen Elemente, und mischt sie so
untrennbar in ihrer neuen Schöpfung, dass sie
als ursprüngliche, eingeborenc Züge derselben
erscheinen. Und dies allerdings ist in Correggio
der Fall.
Da der Aufenthalt des jungen Meisters in Man-
tua schon seit dem 17. Jahrh. als unzweifelhafte
Thatsache galt, so bot sich, als man seinem Lcw
ben näher nachforschte , wie von selbst der Ge-
danke , dass er daselbst auch gearbeitet und
Werke hinterlassen habe. Man ging also eifrig
allen Spuren nach, welche auf eine solche Tha-
tigkeit hinzuweisen schienen, indem man sich
dabei insbesondere auf Donesmondi stützte. Der-
selbe (Dell' Istoria Ecelesiastiea di Mantova.
Mantova 1615. II. A19) hatte ihm verschiedene in
der Vorhalle von S. Andrea befindliche Male-
reien zugeschrieben und darin sogar drei ver-
sehiedene Manieren der Behandlung beobachtet,
worunter diejenige der Nachahmung lllantegnas
die erste; eine Angabe, welche dann von Cadioli
(Descrizione delle Pitturc etc. di Mantova. Man-
tova 1763) und Ratti wiederholt werden. Allein
diese Malereien (was davon erhalten, ist ganz
überarbeitet) rührten nach dem Urtheil von Ken-
nern sicher nicht von Cerreggio her; auch ist
geschichtlich erwiesen, dass sie zum Theil dem
Franc. Mantegna angchörten. Ebensowenig sind
von unserem Meister die Werke, welche ihm iIl
der Kapelle des lllantegna in derselben Kirchß
und in einem Gemach des Castello di Corte bei-
gelegt Wurden. Mit der letzteren Arbeit ist wahr-
scheinlich jene Deekernnalerei in der Loggic gü-
ineint, welche, wie bemerkt, für ihn ebenfalls
ein Gegenstand des Studiums gewesen sein mag.
Bezeichnend ist es immerhin, dass er eine Zeit-
anmuthigen Ausdruck einer innigen Empfindung
entwickelte. Allein der Hof begnügte sich nicht
namhafte Meister in Mantua selbst zu beschäf-
tigen. Nicht weniger war er bedacht auf den
Erwerb ausgezeichneter Werke aus den Händen
berühmter auswärtiger Künstler. Sieh diese zu
verschaffen war insbesondere Isabella Gonzaga
unermüdlich. Sie stand deshalb mit Pietro Peru-
gino in Verbindung, der 1505 ein Bild ihr ge-
schickt hatte, und in regem Briefwechsel mit
Pietro Bembo, der alle Mittel aufwenden musste
um ihr zu zwei Bildern von Giovanui Bellini zu
(verhelfen. Und in der That finden sich in dem
reichhaltigen Inventar der von der Marchesa hin-
terlassenen Kunstsehätze, das um die Mitte des
16. Jahrh. aufgestellt wurde, jene Meister reich-
lich vertreten, wie auch andere noch, welche da-
mals an der Spitze der Kunst standen.
So sehen wir Correggio in jenen entscheiden-
den Jahren, wo die bildenden Einflüsse die Ent-
wickelung des Talentes bestimmen, inmitten
eines mannigfaltigen Kunstlebens und unter der
Einwirkung verschiedener Richtungen, welche,
der höchsten Vollendung zustrebend und in her-
vorragenden Werken ausgesprochen, seine Na-
turanlagen zu rascher Reife fördern mussten.
Denn rasch ging es, wie wir sehen werden, mit
der Entfaltung seiner Kräfte. Nur Ein Meister,
dessen Einfluss die Malerei Correggids unzwei-
felhaft bezeugt, ist in Mantua nicht vertreten:
Leonardo da Vinci. Das Inventar der Kunst-
schätze der Herzöge von ll1antuavon1627 (s. Carlo
d'Are0, Arte di Mantova, II. 153-17 1) weist nur
eine Skizze Leonardos auf; vorher findet er sich
nirgends genannt. Auch nach Modena seheineni
damals keine Werke von ihm gelangt zu sein;
Scannelli (Mieroeosmo, p. 141) berichtet wol voni
zwei Gemälden, welche im 17. Jahrh. im Besitzei
des Herzogs von Modena gewesen und von de-i
nen das eine, Iil. läatharina in halber Figur, als
eines der vseltensten Bildern des Meisters ge-i
schätzt werden; allein, die Aechtheit zugegeben,
so sind sie doch wol erst später dorthin gekom-
men. Dass dagegen Correggio selber in Mailand
gewesen und dort Arbeiten Leonardos kennen
gelernt habe, fiir diese Vermuthung fehlt jeg-
licher r-Xuhaltspunkt; nicht das kleinste Anzei-
chen lässt sich entdecken, dass er jemals seine
Reisen über Mantua und Modena hinaus erstreckt
hätte. Leonardo seinerseits hielt sich von 1500
-l5l4 zumeist in Florenz auf und war während
dieses Zeitraums nur vorübergehend in Mailand.
Möglich, dass er auf einer seiner Reisen damals
Mantua und Modena berührte, dass auf diese
Weise (j. mit dem Meister und seiner Kunst be-
kannt wurde. Wir sind hier auf einem Felde
blosser Vermuthungen; die Geschichte des Mei-
sters gibt uns schlechterdings kein Mittel an die
Hand diese Frage zu beantworten. Nur seine
Werke verschaffen uns die feste Ueberzeugung,
dass er die Malerei Lconardds genau gekannt
habe. So wenig er ohne das Beispiel ltlantegnzüs