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1209. Hans Holbein oder Hans Lützelbnrger? Wer hat den unter
f? , Holbein's Namen berühmten Todtentanz in Holz ge-
H-I schnitten? Diess war Decennien hindurch die Frage,
welche auf das heftigste verhandelt wurde, und noch ist
derjenige nicht vor Angriff sicher, welcher sagen würde,
dass die wunderschönen Todtenbilder von Hans Holbein selbst in Holz
geschnitten seien. Zwei mächtige Kämpfer standen sich gegenüber,
und das Blatt der Herzogin, an deren Bettlade das erste Zeichen vor-
kommt, wurde im Streite hundert Mal genannt. Um es an nichts fehlen
zu lassen, gab der Heros der Eigenhandigkeit, der bereits seit einigen
Jahren im Grabe ruhende Freiherr C. F. von Rumohr, seiner interes-
santen Streitschrift eine vom Grafen Leon de Laborde gefertigte Copie
bei. Dieses Werk erschien unter dem Titel: Hans Holbein der jün-
gere in seinem Verhältniss zum deutschen Formsclmittwesen. Leipzig.
1836. Dem Freiherrn zur Seite stand von nun an der Kunstgelehrte
Rudolph Weigel in Leipzig, welcher als der Autor eines guten Theils
des unter Rurnohfs Namen erschienenen Buches zu betrachten ist.
Auf S. 39 ff. gibt er einen Anhang zu Rumohr's Cap. IV. über Lite-
ratur und specielle Oritik der Holbeimschen Formschnittwerke, und
dieses Capitel ist allen zu empfehlen, welche darüber Aufschluss finden
wollen. Die genannten Schriftsteller erregten 1836 einen wahren Sturm,
da sie gegen Bartsch und dessen Nachfolger die Eigenhäindigkeit von
Malerformschnitten vertheidigten, und neben vielen anderen Holz-
schnitten dem Holbein nicht allein die Zeichnung, sondern auch den
Schnitt der Todtenhilder znschrieben. Dieses galt für eine enorme
Ketzerei, denn ein grosser Maler sollte es nach Bartsch unter seiner
Würde gehalten haben, das Schneidemesser selbst zuführen, abgesehen
davon, dass er sich auch in die Finger hätte schneiden können. So-
init musste ein Formschneider aufgefunden werden, welcher für den
Todtentanz eintreten konnte, und Hans Lützelburger kam geeilt,
_um von dem Monogramm auf dem Blatte der Herzogin Besitz zu
nehmen. Den Beweis konnten aber die Gegner der Eigenhandigkeit
weniger führen, als diejenigen, welche den Todtentanz für einen
Originalschnitt des Holbein erklärten. Sie hatten nichts für sich, als
die Autorität des verdienstvollen Forschers Adam von Bartsch, welcher
aber selbst hier und da zugestehen musste, dass ein Maler auch in
Holz geschnitten habe, und dass es somit nicht jeder unter seiner
Würde hielt, nach Musse oder Laune das Schneidemesser zur Hand
zu nehmen. Die Partei des Hans Lützelburger legte ein besonderes
Gewicht auf einen Bogen mit dem Todtentanz-Alphabete im k. Cabinet
"zu Dresden, auf welchem der Name des Hans Lützelburger beigedruckt
ist, und dieser Bogen sollte den Beweis liefern, dass Lützelburger
auch die grösseren Todesbilder in Holz geschnitten habe. Allein es
"kommt noch ein zweites verschiedenes Uncial-Alphabet mit dem Todten-
Jsanze ohne Namen vor, und es ist nicht bewiesen, dass dieses eben-
falls von Lützelburger herrühre. Man möchte sogar in diesem zweiten
A-lphabete eine grössere Fertigkeit und mehr Gefühl für die Form er-
kennen, so dass das Alphabet, welches durch die Adresse Lützel-
fburgeris zum Zankapfel geworden ist, sogar freie Copie seyn könnte,
auf welche Lützelbnrger entweder als Formschneider oder als Verleger
Anspruch hätte. Es ist aber gefährlich, auf den weiteren Streit ein-
zugehen, und wir wollen daher nur die betreffende Literatur anführen,
111m der jüngeren Generation dieOrientirung in diesem noch nicht ent-
schiedenen Prozesse zu erleichtern.
Baron von Rumohr und die mit ihm gleichgesinnten Kunstkenner
nehmen an, dass Holbein nicht allein die grösseren Todesbilder, son-