VI
Vorrede.
so kann auch ich bei dem bessten Willen nicht jeder individuellen
Ansicht genügen, weil ich ebenfalls die meinige habe, aber ohne
glauben zu wellen, dass sie immer die richtige sei. Daher trage ich
einer anderen um so mehr Rechnung, wenn ich die Ueberzeugung ge-
winne, dass sie der Wahrheit näher komme. Da. wo ich im
Irrthume bin, nehme ich gerne Belehrung an, und es soll nach Mög-
lichkeit die Berichtigung erfolgen.
Die grössten Schwierigkeiten bietet nicht selten die Monogrammen-
Entzifferung, indem sie, abgesehen von irgend einer achtbaren alten
Tradition, von jeher nicht aus Urkunden, sondern aus mehr oder we-
niger gewagten Hypothesen geschöpft ist. Man muss daher selbst nach
vieljäihriger Vorbereitung jedes einzelne Zeichen der Critik unterstellen,
um den Irrthum nicht zu perpetuireu. In vielen Fällen bleibt es aber
noch immerhin gewagt, aus dem Zeichen oder den Initialen einen
Namen zu schöpfen, wenn auch Zeit und Ort der Entstehung eines
Gemäldes, Kupfcrstiches, Holzschnittes u. s w. ermittelt werden kann,
aber der Vergleich des Styls, und andere Gründe fehlen. Denn wenn
auch ein Meister in der Stadt X oder Z gleichzeitig gelebt hat, und
die Initialen oder das Monogramm auf seinen Namen passen , so ist
es noch eben sowohl möglich, dass der Monogranimist ein anderer sei.
Ich werde mich daher hüten, aus den Zeichen und Initialen so viele
Namen als möglich herauszudeuten, und selbst in dem Falle, dass die
Auslegung in mir zur Gewissheit geworden ist, werde ich in Ermang-
lung positiver Gründe demjenigen nicht vergreifen, der einen höheren
Grad von Weisheit zu besitzen glaubt. Es wäre zuletzt auch nicht
sehr viel gewonnen, wenn der Name irgend eines der alten oder neueren
Dunkelmänner ans Licht treten würde, und man wüsste sonst nichts
von ihm. Von grösserer Wichtigkeit ist es, die Werke irgend eines
Meisters X oder Z nach Zeit, Ort und Eigenthümliclikeit des Charakters
zu ordnen, und dann mag er in seinem Dunkel verharren, bis eine
andere Leuchte es durchdringt. Allein auch in dieser Ordnung liegt
eine grosse Schwierigkeit, da Argusaugen dazu gehören, das ganze
weite Gebiet zu überschauen. Ich will aber damit nicht sagen, dass
ich jetzt mit der Aufzählung und möglichen Classiflcirung der ver-
schiedenen Kunstprodukte allein zufrieden seyn wolle. Ich werde im
Gegentheile viele bisher unbekannte Namen einzeichnen, und vielleicht
ist der eine oder der andere später bestimmt, eine wichtigere Lücke
auszufüllen. Wer sich als Künstler meldet, wird vorläufig zugelassen,
er mag aber sehen, wie er im Concurse bestehe.
Unter den Erscheinungen auf dem Gebiete unserer Literatur er-
wähne ich vornehmlich des Peinlre-gravcztr par J. D. Passavant, Leipsic,
B. Weigel 1860. Bis jetzt liegen uns zwei Bände vor, und dieses auf
vieljähriger Forschung beruhende Werk ist uns von um so grösserer
Wichtigkeit, als auch die Monogramme und Initialen beigefügt sind.