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mit bildnerischem Triebe begabter Schusterjunge durch die Dachlucke
in die weite Welt geht, um später als Künstler eine elende Dachstuben-
Existenz zu führen, welchem dann nach frühem Tode natürlich glän-
zender Nachruhm folgt. Die tüchtige Composition, und das unverkenn-
bare praktische Geschick erwarben dem jungen Künstler Anerkennung
bei den Kunstgenossen, und diess gab ihm Muth, seinen originellen
Bildungsweg mit grösserer Entschiedenheit zu verfolgen. Eine heitere
Darstellung der fünf Sinne auf einem lithographirten Blatte, S0 wie das
Vaterunser in Bildern, ebenfalls von Menzel selbst lithographirt, sind
zwei andere seiner früheren Arbeiten, fol. u. gr. fol. Dann aber (1836)
erschien von ihm ein Cyclus von 12 Origiziel-Lithographien unter dem
Titel: Denkwürdigkeiten aus der Brandenburgisch-Preussßchen Geschichte,
nebst Temlblatt von Dr. Frfedlimder. roy. iol. Diese Compositionen ver-
riethen eine ausserordentliche Begabung. Sie beginnen mit Viceliuus,
welcher den Wenden das Evangelium prediget, und enden mit dem Siege
in der Schlacht bei Leipzig. In allen dargestellten Begebenheiten ist
der Charakteristik der jedesmaligeil Zeit Rechnung getragen, welche
bis in's Kleinste und Zufälligste des Costüms sich erstreckt, und wahr-
haft Erstaunen erregt. Im Jahre 1837 trat der Künstler zuerst mit
einem Oelbilde auf, welches eine Rathsconsultation zum Gegenstande
hat. Menzel hatte sich aber einmal der Geschichte seines Vaterlandes
gewidmet, und somit wählte er in der Folge den Stoff fast ausschliesslich
aus derselben. Das Helden- und Privatleben des grossen Königs Frie-
drich begeisterte ihn besonders zu malerischen Darstellungen, welche in
Composition und Durchführung zu den schönsten Erzeugnissen der m0-
dernen Malerei gehören. Menzel übt eine seltene Herrschaft über die
Farbe aus, und trägt sie mit grösster Naturwahrheit vor. Zu seinen neue-
sten und umfangreichsten Gemälden gehört der Ueberfall bei Hochkirch,
und Friedrich der Grosse mit seinen Freunden an der 'l'afel zu Sanssouci.
A. MenzePs Zeitabschnitt ist vorzugsweise jener des Rococco, wel-
chen er in Idee und Stoff in gleicher Meisterschaft umfasst. Als der
Künstler so weit war, dass er Form und Ausdruck in seiner Gewalt
hatte, da war es seine Aufgabe. Dr. F. Kngler's Geschichte Friedrichs
des Grossen zu illustriren. Dieses Werk erschien zu Leipzig von
1839 1842 mit 400 Holzschnitteu, gr. 8. Die Illustrationen desselben
sind in ihrer Art eben so einzig, als der Held, dessen Geschichte er-
zählt wird. Einmal fesseln die Zeichnungen durch unendlichen Reich-
thum von originellen Erfindungen, geistreichen Einfällen, durch die
Gewalt der dramatischen Composition, und dann üben sie durch die
historische Treue, durch die diplomatische Beobachtung der Costüme
einen unwiderstehlichen Reiz aus. Menzel benutzte die Urquellen mit
erstaunlichem Fleisse. So hat er die Portraits des grossen Königs vom
vierten Jahre an durch alle Altersstufen hindurch mit solcher Gewissen-
haftigkeit gegeben, dass vom Kinde bis zum Greise die Züge sich so
allmählig und unter unseren Augen so unbemerkt verändern. Die
gleiche Sorgfalt ist auf alles Uebrige verwandt, was zu Friedrichs Zeit
auf das Welttheater getreten ist. Menzel wirkte durch dieses Friedrichs-
Buch, welches 1855 in neuer Auflage erschien, auch mächtig auf die
Entwicklung der Formschneidekunst ein, so dass diese mit dem Grab-
stichel und der Radirnadel um den Vorzug kämpfte. Anfangs wanderten
die Zeichnungen zur Geschichte des grossen Friedrich nach Paris, aber
nur wenige Stöcke von dort her konnten gebraucht werden. Der fabrik-
mässige Betrieb der Sache hinderte eine harmonische Ausführung der
gegebenen Zeichnung. Von einer treuen Hingabe an das Original, von
einem Sichaufgeben an die Schöpfung des Anderen, wie Menzel es ver-
langte, war vollends nicht die Rede. Die dazu nöthige Selbstverläug-
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