Zur
Charakteristik Rembrandtä.
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Wenn dem gewaltigen Tonkünstler also auch das Organ
der Tonwahrnehmung erstorben war, in seinem Geiste lebte
die ganze Welt der Töne und gestaltete sich darin fort und fort
zu gewaltigen Hymnen in reichster Klangfülle. Rembrandt
war zwar im Vollbesitze seiner Sinnesthätigkeiten im gewöhn-
lichen Sinne, aber er hatte die Schaffenskraft und geistige
Schaffensmöglichkeit eingebüsst. Darum sehen wir ihn
unthatig und verbittert seinem Ende entgegengehen. Von
ihm kann man mit dem grossen englischen Dichter sagen:
„Ein Mann, der nicht Musik hat in sich selbst, taugt zu
Verrath, zu Räuberei und Tücken, sein Herz ist dumpf
wie Nacht und seine Seele schwarz wie Erebus. Trau'
keinem
solchen y:
Noch
bevor
alle
seine
Studienmittel
und
seine
äusseren
Güter
einbüsste,
hatte
bereits
die
Harmonie
seiner
welche
geistigen Kräfte verloren.
ihn erfüllten, waren längst
Die Hauptbestrebungen,
auf andere Dinge als auf
seine
Kunst
gerichtet.
Der kritische Verstand aber Wird mit gerechtem Zweifel
darüber erfüllt, 0b der Rembrandt, den wir aus den
Berichten der Acten kennen lernten, der Schöpfer jener
Kunstwerke
hochethischen
Gehaltes
sein
könne,
Welche
die
Seele rühren und ergreifen, zu denen die gebildete Mensch-
heit mit Bewunderung aufblickt und die seinem Namen
zugeschrieben
werden.
Nach der bisher geltenden Ansicht und nach den vor-
trefflichen Bezeichnungen der meisten Bilder entwickelt
sich Rembrandt (einiger Widersprüche hier nicht zu ge-
denken), wie man behauptet, zu immer grösserer künst-
lerischer Vollkommenheit; nach den Ergebnissen der
Acten aber beginnt er bald nach dem Tode seiner Frau,