102 I. Theil. VI.
Capitel.
Rembrandt an dem Platze seiner Wirksamkeit und seines
anfänglichen Glanzes in Missachtung gerieth, dann un-
beachtet blieb und zuletzt in Vergessenheit starb.
Es liegt also keine Veranlassung vor, den Charakter der
alten Biographen Rembrandts herabzusetzen, Weil das, was
sie über ihn in Erfahrung gebracht hatten, ungünstig lautete
und sie solches nach bestem Wissen wiedererzahlten.
Uebrigens hat keiner der Herren, Welche Rembrandt gegen
seine ersten Biographen verth_eidigt haben, aus dem Wesen
der historischen Sage eingehend klar gestellt, Wie über den
hoch bewunderten Meister Rembrandt jene, seinen Charakter
verunglirnpfenden "Sagen" entstehen konnten, ohne dass
ihnen etwas Wahres zu Grunde gelegen hatte. Ja, die
neuere kunstgeschichtliche Literatur hat alle Schriftsteller
und Zeitgenossen Rembrandts die von diesem Maler nicht
entzückt waren, im Grunde als Dummköpfe oder als niedrige
Charaktere und hamische Seelen dargestellt, wie wenig auch
diese Unterstellung zutrifft und von einem allgemeinen, die
Möglichkeit jener damaligen grossen holländischen Cultur-
blüthe in Betrachtung ziehenden Gesichtspunkte aus begriffen
werden kann.
Aus fast allen aufgefundenen schriftlichen Zeugnissen
über Rembrandt geht vielmehr hervor: er war nicht der
herrliche Mensch, nicht der hochstehende Charakter, als
Welcher er von unsern Kunsthistorikern gefeiert wird, seit
dieselben gleich Kolloff seine ganze Innerlichkeit, seine hohe
Seele aus den ihm zugeschriebenen herrlichen Bildern hoch-
ethischen Gehaltes herauslesen.
Rembrandt, wie wir ihn kennen, war ein Mensch ohne
Charakter und Seelengrösse und überhaupt ohne hohe
Geisteskräfte. Der Zusammensturz seiner künstlich hinauf-
geschraubten Verhältnisse lässt ihn nicht mannhaft aus der