RAFFAEDS
IUGENI)
UND
LEHRZEIT.
in Perugia zurück, etwa neben Pinturicchio an der Spitze einer Werk-
Ptätte, welche Perugino dafelbft zurückgelaffen hatte? Leider fagen über
den Beftand der letzteren, alfo über ein Doppelatelier Peruginols, die
Urkunden nicht das Geringfte, ja die Schilderung des Meifters in den
Briefen des Nlantuaner Gefchäftstragers, er müffe für das tägliche Brod
arbeiten, fcheint einem ausgedehnten Kunftbetriebe zu widerfprechen.
Allzu lange blieb übrigens auch Raffael nicht auf dem Boden Perugias
Anm. e. feftgebannt. Im Jahre 1504 befuchte er für längere Zeit feine Vater-
ftadt, wo er den Verkehr mit Timoteo Viti erneuerte, und im Herbfte
deffelben Jahres nahm er feinen ftändigen Aufenthalt in Florenz. Zu
diefer Annahme zwingt uns die Einficht in die Stilwandlung, welche
gerade jetzt eintritt, auch wenn wir den Empfehlungsbrief der Herzogin
Giovanna von Montefeltre an den Gonfaloniere von Florenz, vom
I. October 1504 datirt, nicht als flchere Urkunde benützen. Vorher
gingen noch kleinere Reifen, wie nach Siena zu der Zeit, als dafelbft
Anm. 7. Pinturicchio die Fresken in der Libreria malte. Eine alte Tradition
läfst Raffael an den Entwürfen für diefelben mithelfen.
Nicht plötzlich und unvorbereitet tauchte Raffael 1504 in die floren-
tiner Kunftftrönlung. Einzelne Berührungen mit der Horentiner Kunft-
welt hatten fchon früher Prattgefunden. Nicht gewaltfam fagte er fich von
nun an von der umbrifchen Richtung los. Zunächft blieb ja noch immer
Peruginds Einflufs maafsgebend, neben welchem der von Verrocchids
Werkftätte her befreundete Kreis z. B. Lorenzo di Credi {ich geltend
machte; fürgentgegengefetzte Beftrebungen und Ziele konnte die Empfang-
lichkeit nur allmählich in Raffael erwachen. Den Vorgang der lang-
famen, friedlichen Ablöfung von der Schule des Meifters machen die
erften flcheren Werke Raffaefs in klarfter Weife anfchaulich. Die materi-
ellen Grundlagen der Compofition entlehnt Raffael, auch nachdem er
aufgehört hatte, Schüler Peruginds zu fein, den Bildern des letzteren;
es ift überhaupt auffallend, wie lange in diefer Beziehung Raffael von
älteren Muftern abhängig bleibt. Noch die Grablegung Chrifti 1507
offenbart die bedachtfame, maafsvollei Weife des Künftlers, die in liebe-
voller Achtung für die Tradition keine wefentliche Neuerung überflüfflg
unternimmt. Die allgemeine Anordnung, die Gliederung im Raume, die
Gruppirung, der äufsere Charakter der einzelnen Geftalten erfcheint
regelmäfsig in den Bildern Peruginols und Raffaefs wiederholt. Darauf-
hin konnte Vafari behaupten, dafs fich ihre Arbeiten nicht von einander
unterfcheiden laffen. Für den groben Blick mag das zutreffen. Sieht
man näher zu, fo bemerkt man, wie gleichfam eine Meifterhand alle
Linien noch einmal zarter und reiner umfchreibtT" wie mit geringem