EINTRITT
PERUGINUS
WERKSTÄTTE.
in Verwahrung; Eine vorhergehende Verhandlung (5. Juni 1499) da-
gegen bezeichnet wohl die Stiefmutter ausdrücklich als abwefend, er-
wähnt aber Raffaefs Abwefenheit mit keiner Silbe, obgleich derfelbe
nicht mehr minderjährig war, alfo eigene Rechte befafsfl") Raffael hätte
auch in Perugia den perfönlichen Unterricht des Meifters gar nicht ge-
niefsen können, da Perugino urkundlich in den Jahren 1495 bis 1499
ein Wanderleben führte, und wenn er nicht auf Reifen war, feinen Wohnfitz
T11 Florenz hatte. Auch Pinturicchio, welchen man gern als eine Art Alt-
gefellen Peruginds darftellt, in Abwefenheit des letzteren mit der Leitung
der Werkftatte betraut, weilte am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
noch in Rom und legte hier die letzte Hand an Fresken im päpftlichen
Palafte und in der Kirche S. Maria del popolo. Zu den äufseren Gründen Anm.
für die Meinung, dafs Raffael erPc am Schluffe des Jahrhunderts in Peru-
gmds Werkftätte eintrat, treten noch innere hinzu. Wäre Raffael bereits
im Zarten Knabenalter unter Peruginds unmittelbare Zucht gekommen,
W36 hätte er fich da Widerftandskraft gegen die Einflüffe des Lehrers
erworben? Er würde einfach mit Peruginds Augen gefehen, mit Peru-
ginCJi-S Hand gezeichnet haben. Nun ift es aber eine allgemein aner-
kflflllte Thatfache, dafs Raffael nicht nur Peruginds Manier mit grofser
Leichtigkeit überwand, fondern dafs er auch von allem Anfange her
eine gewiffe Selbftandigkeit fich bewahrte. Diefelbe befchränkt flch nicht
auf die allgemeine Auffaffung der Natur, auf die zartere Anmuth und
lebendigere Schönheit der einzelnen GePcalten. Dafür kann feine per-
fönliche Anlage, feine angeborene Empfindungsweife als Erklärung an-
gerufen werden. Raffael unterfcheidet f1ch aber auch durch äufsere Ge-
Wohnheiten von Perugino und den umbrifchen Genoffen., Bereits in den
ffüheffed authentifchen Zeichnungen kann man eine andere Art der Strich-
füllmflg, eine Vorliebe für eine andere Kopf und Handform und für
ändere landfchaftliche Hintergründe beobachten. Als Beifpiele mögen
die Oxforder Blätter, welche Studien zu einer Auferftehung enthalten
(Fig- I9) (Braun's Ph. 6 u. 7), und die Madonnenfkizze (BnIo) gelten.
Wären wohl diefe felbftändigen Gewohnheiten fo früh gezeit-igt worden,
wenn Raffael bereits feit dem Knabenalter in engem Zufamrnenhange mit
Clner Schule geftanden hätte, welche nach allem, was wir von ihr wiffen, ein
fÄrbeiten nach feftgeftellten Schablonen begünftigte? Man hebt gern den
Übefrafchenden Auffchwtlng Peruginos in den Jahren 1500 bis 1502
hervor und fchreibt ihn dein Einiluffe Raffaefs zu. Die Berührung des
Schülers wirkte auf den alten Meifter wie ein Jugendbrunnen. Diefes
L
Paffavant
364 und Jahrbuch
Kunflfalnnllungen III.
161.