MICHELANGELUS
JUGEND.
iie glaubten aber nicht, ihre Einführung mit blutiger Gewalt erzwingen
zu müffen. Es durfte als ein entfchiedeneriFortfchritt im Sinne des
inneren Friedens gelten, als 1502 ein Gonfaloniere auf Lebenszeit er-
koren wurde. Die Wahl traf den Piero Soderini, von deffen Natur und
Umgebung keine Tyrannenherrfchaft zu befürchten war. Der plötzliche
Tod Alexander's VI. brach die gefährliche Macht Cefare Borgizfs, der
Untergang Piero Medici"s im Garigliano befreite die Republik von dem
nächftftehenden Prätendenten. Mit dem befferen Glauben an die Dauer
der republikanifchen Staatsform hob fich auch der Stolz und die Lebens-
freude der Bürger. Die Erinnerung an den Werth der Kunft als politifches
Machtmittel wurde Wieder lebendig, und die Luft, fie im öffentlichen DicnPc
zu gebrauchen, rege. Freilich hatten die vergangenen Tage der Noth
und des Kampfes die Künftlerfchaaren, die fonft zu jedem Werke bereit
ftanden, gelichtet. Die Signoria klagte I5oI über den Mangel an guten
Künfllern in Florenz. Zunächft im Fache des Erzguffes, aber auch in
anderen Kunftzweigen machte flch eine Stockung bemerkbar; den alt-
bewährten Meiftern, welche noch die Zeiten Lorenzo Medicfs erlebt, war
keine gleich reiche Schülerzahl gefolgt. Doch auch da tauchten hellere
Hoffnungen auf.
Leonardo da Vinci war 1500 nach langer Abwefenheit in Mailand
nach der Heimath zurückgekehrt. Zunächfi feffelten ihn weder die Kunft
noch Florenz in hohem Maafse. Mit feinem Freunde Luca Paciolo betrieb
er gemeinfchaftlich mathematifche Studien, im Jahre l 502 fodann ftand
er in den Dienften Cefare Borgias und befichtigte die feften Plätze,
welche diefer in der Romagna befafs. Erft I 504 erfahren wir von einem
dauernden längeren Aufenthalte Leonardos in Florenz. Mufste nicht
fein Zufammenleben mit Michelangelo die Erwartung wecken, dafs Florenz
abermals den Vorort italienifcher Kunftpflege bilden werde? Die wenig
freundliche Stimmung, welche Michelangelo feinem 2 3 Jahre älteren Lands-
manne entgegentrug, hinderte nicht nothwendig den Auffchwung der
Kräfte. Die Eiferfucht und der Ehrgeiz flnd auch mächtige Thätigkeits-
triebe, und eiferfüchtig auf den Ruhm Leonardols bis zur Ungerechtigkeit
fcheint Michelangelo allerdings gewefen zu fein. Als einmal eine Ge-
fellfchaft geiftreicher Männer auf der Bank vor dem Palaite Spini bei-
fammenfafs, und über einzelne Verfe Dante's fich unterhielt, wurde der
vorbeigehende Leonardo angerufen, um eine fchwierigere Stelle zu deuten.
Er {zerwies die Fragenden auf Michelangelo, der zufällig deffelben Weges
herkam; diefer aber, in dem Winke gleich Hohn und Spott witternd,
fuhr auf: Erkläre nur du felbft, der du ein Reiterftandbild entworfen
haft, um es in Erz zu giefsen, dazu aber unfähig dich zeigteft und