MICHELANGELOS
JUGEND,
die feinile plaftifche Empfindung die Gruppen befiimmt, die Rückficht
aufgefchloffene, dem Raum frei {ich anfchmiegende Umriffe die Zeich-
nung regiert. Michelangelo übertrug diefe Compofitionsweife auch auf
malerifche Werke und gab dadurch ein von Zeitgenoffen und dem jüngeren
G-efclilecht eifrig befolgtes Beifpiel.
Gleich das frühefte Gemälde, das wir von ihm befitzen, führt uns
die Madonna vor Augen, zwifchen deren Knieen der Chriftilsknabe fteht,
mit der einen Hand {ich am Gewande der Mutter feflhaltend, während er
mit der anderen nach einem Buche greift. An die Madonna lehnt flCll
von der Seite der kleine Johannes an; je zwei {ingende Engel, fymmetrifch
rechts und links aufgefiellt, fchliefsen und vollenden die ganz plafiifch
gedachte Gruppe. Lange unter Ghirlandajds Namen bekannt, wurde
das Gemälde auf der Manchefter-Ausftellung I8 57, obfchon jede äufsere
Beglaubigung fehlt, als ein Originalwerk Michelangelds erkannt und
fpäter aus dem Befitze des Mr. Labouchere (oder Lord Tauntons) in die
,3_ Londoner Nationalgalerie übertragen. Es ifi von Michelangelo nur an-
gelegt, theilweife untermalt worden. Wahrfcheinlich liefs er das Bild
urgorllendet zurück, als er H96 feine Reife nach Rom antrat, denn in
diefe Jahre möchte man die Entflehung wegen der befonders in den
Engeln noch fichtbaren Anklänge an die ältere Florentiner Schule (Dona-
tello und Robbia) fetzen. Der plaftifche Charakter des Werkes tritt im
Ganzen wie im Einzelnen deutlich an den Tag, er offenbart {ich in der
' -_Vorliebe für das Nackte, welcher auch die Madonna huldigen mufste,
inRdem fchweren Wurfe des Gewandes und nicht minder auch in der
Abwefenheit aller malerifchen Effecte. Die ßMadonna von Man-
chefierrr, wie das Bild gewöhnlich genannt wird, ift allerdings im un-
fertigen Zufiande auf uns gekommen. An den beiden Engeln links ifl
das Nackte grün untermalt, der Mantel der Madonna erfcheint eifengrau,
das Untergewand wie die Röcke der Engel rechts {ind hellroth angelegt.
Mit aller Sicherheit darf man behaupten, dafs Michelangelo durch die
Farben nur die Formen theils kräftiger betonen, theils klarer auseinander
halten wollte, an eine coloriitifche Wirkung nicht dachte und daher allen
technifchen Neuerungen fremd, die alte Temperamalerei beibehielt. Das-
felbe Urtheil gilt von dem anderen Gemälde, das er nach der Rückkehr
von Rom in Florenz malte, einem Rundbilde, von Angelo Doni beftellt
und bereits von Condivi und Vafari erwähnt, von der berühmten
heiligen Familie in der Tribuna der Uffiziengalerie.
Die Madonna, ein mächtiges Weib, hat {ich auf die Kniee nieder-
gelaffen und nimmt, den Oberleib feitwärts gewendet, die Arme empor-
liebend, ihr Kind dem Gatten ab, der hinter der Madonna fltzt und die