MADONNENSCULPTUREN.
fich ausfchliefslich der Sculptur zu widmen. Er hielt (ich doch für diefe
Kunft am beflen von der Natur ausgeflattet. Bis zu feinem dreifsigften
Jahre bewahrte er auch der Sculptur vollkommene Treue. Nicht allein
in dem Sinne, clafs er beinahe ausfchliefslich plaPtifche Werke fchuf,
fondern auch in dem anderen, für feine Entwickelungsgefchichte ent-
fcheiclenderen Sinne, dafs bis dahin alle feine künfllerifchen Gedanken
plaftifche Formen annahmen und fein Formenfinn überwiegend von antiken
Studien geleitet wurde. Noch wirft feine mächtige Individualität nicht
auf jede Geftalt, die er verkörpert, einen ftarken Schatten, noch bilden
feine Werke nicht zunächPc und zumeifl den ergreifenden Wiederfchein
feiner grofsen einfamen Natur. Sie folgen noch den Gefetzen der
Gattung, welcher {ie angehören, und halten an dem allgemeinen Ideale
der Renaiffancekunft fefi. Seine Centaurenfchlacht, fein Cupido, Bacchus
und David vollenden die von der Florentiner Kunfl feit Donatello ein-
gefchlagene Richtung; fie bilden ihre Spitze, ftehen aber noch nicht wie
feine fpäteren Arbeiten aufserhalb des ganzen von Gefchlecht zu Gefchlecht
überlieferten Kunftkreifes.
Michelangelds Natur in feinen jungen Jahren enthüllt {ich nicht
minder deutlich in den religiöfen Darliellungen als in den mythologifchen
Geffalten. Unter jenen {tehen die Madonnenbilder in erfler Linie. Mit
offenbarer Vorliebe hat fie der Meifter wiederholt gemeifselt und gemalt,
und wie alle diefe Arbeiten auf gemeinfamer Grundlage ruhen, fo zeigen
{ie auch in formeller Auffaffung eine enge Verwandtfchaft mit den von
der Antike angehauchten Figuren. Die Madonna in Brügge und das
Rundrelief im Florentiner Mufeum überrafchen durch die Neuheit der
Compofition. Das Chriftkind ift vom Schoofse der Madonna auf den
Boden herabgeglitten und aus dem hilflofen Säugling zum Knaben
geworden, der auf eigenen-Füfsen zu ftehen vermag und wie in der
Bewegung felbftändiger, fo in der Empfindung bewufster flch zeigt. Die
mittelalterliche Tradition betonte beinahe ausfchliefslich die enggefchloffene
Einheit von Mutter und Kind, welche ja auch zu einem tiefen, poetifchen
Ausdrucke {ich darleiht und malerifch wirkungsvoll erfcheint. Die Re-
naiffancekrlnft begann das unmittelbare Band zu löfen, ergötzte fich an
einer gröfseren Mannigfaltigkeit der Schilderung; vollends die Sculptur
fühlte {ich durch die überlieferte Auffaffung beengt und drängte zu einer
freieren Gruppenbildung. Die Erfüllung brachten Michelangelds Marmor-
bilder. Dort, in Brügge, fleht der Chriftusknabe zwifchen den Knieen
der Madonna, leicht mit beiden Armen auf ihren Schenkel {ich itützend;
hier, im Rundrelief, lehnt {ich Chriftus, den Kopf in die Hand gelegt,
von der Mutter leife umfafst, von der Seite an diefe an. Immer hat
Springer, Rafael und Michelangelo. I. 3