MICHELANGELUS
JUGEND.
Jacopo Galli gearbeitete Statue zu erkennen glaubten. Das geht nun
nicht mehr füglich an, felbft wenn wir den (leeren) Köcher mit (bronzenen)
Pfeilen gefüllt denken. Es fehlt das von Aldrovandi hervorgehobene
Gefafs zu Füfsen des Gottes. Immerhin dürfen wir, wenn auch nur aus
ftiliftifchen Gründen, in dem ungeflügelten Cupido des Kenfmgton-Mufeums
ein jugendwerk Michelangelds begrüfsen.
Der jugendliche Gott iPc halb knieend, halb fitzend, mit unter-
fchlagenem rechten Beine ähnlich wie der berühmte Horentiner
Schleifer dargeftellt. Der Kopf ift in fcharfer Wendung nach der
Seite gedreht; mit dem einen Arme greift Cupido vor, als wollte er
vom Boden einen Pfeil aufheben; im anderen (reitaurirten) hochgehobenen
hält er den Bogen. Die Lehre von der Wirkung der Contrafte erfcheint
hier beinahe urie in einem akademifchen Exempel verkörpert. Der Kopf
und der Torfo, die beiden Arme und Beine zeigen nachdrücklich betonte
Gegenfätze in Stellung und Bewegung. Auffallen mufs es, dafs Michel-
angelo fein Werk unvollendet zurückliefs. An den Haaren und an den
auf dem fchwarzen Sockel ausgebreiteten Gewandftticken fehlt die
letzte Hand.
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Vier Jahre währte Michelangelds Aufenthalt in Rom, feinem Vater
viel zu lange, der nicht aufhörte, ihm die eigene Noth zu klagen und
zur baldigen Rückkehr in die Heimath zu mahnen?) INias konnte dem
Künitler aber die I-Ieimath bieten, welche im Innern fortwährend Ver-
faffungskrifen überftehen mufste, nach aufsen durch den Krieg mit Pifa
befchäftigt war und in {teter Furcht vor den lauernden Medicis und dem
eroberungsluftigen Cefare Borgia, diefem ruchlofeften aller Kraftmenfchen,
lebte? Zum Glück für Michelangelo bedachten ihn römifche Freunde
mit einem gröfseren Auftrage, welchen er nach feiner Heimkehr 1501
in Florenz ausführen konnte. Der Cardinal Francesco Piccolomini, nach
dem Tode Alexander's VI. auf den päpftlichen Thron unter dem Namen
Pius III. erhoben, hatte in Siena ein Familienheiligthunl zu Pciften be-
fchloffen. Im Sienenfer Dome follte eine F amilienkapelle errichtet werden,
und ein Bücherfaal, an diefelbe anitofsend, die von dem grofsen Ahnen,
von Aeneas Sylvius hinterlaffenen Bücherfchätze bergen. Wunderbar
greifen Frömmigkeit und Ruhmesfehnfucht ineinander, fo dafs man kaum
Weifs, ob das Gefchlecht der Piccolomini mit gröfserem Stolze auf den
Papft Pius II. oder auf den Humaniften Aeneas Sylvius zurückblickte.
Gotti