ANMERKUNGEN
UND
BELEGE.
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Urbino befucht, nimmt er das Zeichenbuch mit und copirt in demfelben
die Dichter- und Gelehrtenporträts, welche fich, von einem flandrifchen
Meifler gemalt im Palafle des Herzogs vorfanden. Ebenfo begleitet ihn
einige Jahre fpäter das Zeichenbuch nach Siena. Er fkizzirt in demfelben
auch Geilalten aus Signorellfs Fresken in Orvieto und felbll als er bereits
mit der ilorentiner Kunflwelt in Berührung tritt, finden fich noch immer
genug leere Blätter, um die neuen Eindrücke in denfelben niederzulegeii,
insbefondere fich in Leonardds Stil einzuleben. Das Skizzenbuch war
demnach ein volles Jahrzehnt im Gebrauche gewefen, und zeigt die
künfllerifche Entwicklung Raffaels von den erflen Anfängen bis zu voll-
kommener Selbfländigkeit in flreng und ftetig fortfchreitender Folge.
Sachliche Gründe für diefe Hypothefe haben Cr. und Cav. nicht bei-
gebracht. Entfcheidend für den Urfprung des Skizzenbuches erfcheint
der Umfland, dafs die Blätter in demfelben mit keinem einzigen gleich-
zeitigen authentifchen Werke RaffaePs in ficherem Zirfammenhange flehen,
vielfach eine andere technifche Weife und Angewöhnung der Hand ver-
rathen als die echten Zeichnungen RaffaePs aus feiner Iugendzeit, und
dafs einzelne angeblich fpäter fallende Blätter eine geringere Schulung
verrathen (z. B. der Kindermord, Br. 144) als Zeichnungen, die er früher
entworfen haben foll. Sie würden, wenn fie von Raffael ilammten, keine
progreffive, fondern eine auffallend retrograde Richtung bekunden. Ler-
molieff dachte an Pinturicchio als Zeichner der meiflen Blätter, Kahl
fchlägt den Namen Girolamo della Genga vor. Nach meiner Anficht
waren mehrere Hände in dem Skizzenbuche thätig und ifl dasfelbe der
Reil eines Muller- und Uebungsbuches einer umbrifchen Werkflätte.
Vgl. A. Springer, RaffaePs Iugendentwicklung und die neue Raffael-
literatur im Repertorium für Kunftwiffenfchaft IV. Bd. 1881. S. 370-400.
Crowe und Cavalcafelle (Gefchichte der ital. Malerei Bd. IV. 226)
muthmafsen Raffaels Mitwirkung an den Deckenfresken Peruginds im
Cambio. Auch fonft wird an mehreren Tafelbildem Peruginds die mit-
thätige Hand des jugendlichen Raffael angenommen. Die Thatfache im
Allgemeinen fleht feil, und wird durch die Annahme einer gröfseren
Werkflätte, in welcher unter Peruginds Leitung mehrere Gefellen arbeiteten,
bequem erklärt. Die Entfcheidung in den einzelnen Fällen ilöfst aber
auf die gröfsten Schwierigkeiten, da die Beweisführung fich eigentlich
immer im Kreife dreht. Von der Aehnlichkeit der Figuren auf einem
Bilde mit jenen auf anderen fchliefst man auf RaffaePs Hand, um dann
mit Umkehrung der Folge den Schlufs zu wiederholen.
Der Brief der Giovanna, Gemahlin des Giovanni della Rovere an den
Gonfaloniere von Florenz befand {ich urfprünglich im Befitze der Familie
Gaddi und wurde zuerll in den Lettere pittoriche (I. Bd. 1.) publicirt.
Im Jahre 18 57 kam er wieder, noch mit dem alten Siegel verfehen, bei