314
RAFFAEL
UND
MICHELANGELO.
3) Peruginds Wanderleben in den neunziger Iahren des Quattrocento und
feine faft ftändige Abwefenheit von Perugia während diefer Zeit wird
durch folgende meift urkundliche Daten ficher geflellt.
1495 malt Perugino die Klage um den Leichnam Chrilli für die
Nonnen von S. Chiara in Florenz; er macht in Perugia einen Contract,
die Himmelfahrt und Vermählung Mariae zu malen, aber noch im jahre
1500 hat er nicht die Hand angelegt, wohl ein Beweis; dafs er flch alfo
bald Wieder von Perugia entfernte. In der That finden wir ihn 1496
in Venedig, wahrfcheinlich auch in Cremona. Er malt femer die Freske
in S. Maria de" Pazzi in Florenz und kauft dafelbft im Herbile ein
Grundflück, um fich darauf ein Haus zu bauen. Er heifst in dem
Kaufacte: habitator in populo S. Petri majoris, wird alfo als in Florenz
anfäfsig betrachtet.
1497 ifl Perugino in Fano thätig, aufserdem nimmt er Theil in
Florenz an der Abfchätzung eines Gemäldes des Aleffo Baldovinetti.
1498 wird er als Sachveritändiger zu den Verhandlungen über die
Errichtung der Laterne am Dom zu Florenz zugezogen und kauft ein Haus
in der Via Pinti. In demfelben Jahre verhandelt er mit der Domverwal-
tung in Orvieto, wegen der Ausmalung der Kuppel, hegt alfo offenbar
nicht die Abficht, fich in Perugia niederzulaffen.
1499 läfst er flch bei der Malerzunft in Florenz einfchreiben.
Peruginds ausgedehnte Thätigkeit in der Kirche und im Klofter der In-
gefuati bei Florenz kann nicht genau datirt werden, fällt aber gleichfalls
in die neunziger Jahre. Wie fehr man gewöhnt war, ihn in Florenz
thätig zu denken, beweift die Stelle bei Albertini: Perufino, benche si
puo dire Florentino.
4) Der Raffaelifche Urfprung des Skizzenbuches, welches jetzt, in Einzelblätter
aufgelöil, die Akademie in Venedig befltzt, ifl in der jüngften Zeit von
Lermolief f und von Kahl (Das Venezianifche Skizzenbuch, Leipzig
1882) nicht blos angefochten, fondem auch vollkommen widerlegt worden.
Crowe und Cavalcafelle haben in ihrer Biographie RaffaeFs die gründ-
lichen Unterfuchungen Kahl's unbeachtet gelaffen, halten den Raffaelifchen
Urfprung aufrecht und Hellen folgende Hypothefe auf. Der Knabe Raffael
(Cr. und Cav. laffen ihn bereits 1495 in die Werkflätte Peruginds ein-
treten) legte fich, den Vorfchriften Cenninfs entfprechend, ein Zeichenbuch
an, in welchem er alle vom Lehrer ihm geilellten Aufgaben ausführte.
Zuerft wird er angeleitet, mit Hilfe eines Gradnetzes Figuren nach Vor-
lagen abzuzeichnen. Sobald er darin Uebung erlangt, wird die Efelsbrücke
des Gradnetzes abgeworfen und Raffael copirt die Figuren ohne Gradnetz.
Sodann läfst ihn Perugino Köpfe zeichnen, wieder nicht nach der Natur,
fondern nach älteren Muftern. Vorn Studium drapirter Figuren geht
fodann Raffael zur Darflellung nackter Figuren über. Als er 1499-15oo