ANMERKUNGEN
UND
BELEGE.
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fällt der Geburtstag Raffaels "auf den 6. April. Diefelbe {lützt frch auf
die vom Cardinal Bembo verfafste Grabfchrift, in welcher es heifst!
VIXIT. AN. XXXVII. INTEGER. INTEGROS.
QVO. DIE. NATVS. EST. EO. ESSE. DESIIT.
VIII. ID. APRIL. MDXX.
Nimmt man die Grabfchrift wörtlich, fo ifl zweifellos Raffael am 6. April
geboren worden. An demfelben Tage, an welchem er ftarb, wurde er
auch geboren. Mufs man fre aber wörtlich nehmen? Es bleibt immerhin
auffallend, dafs Vafari, welcher doch die Grabfchrift kannte, nicht den
einfachen Schlufs zog: Raffael lebte vom 6. April 148 3 bis zum 6. April
1520. In feinem gern übertreibenden pragmatifchen Stile läfst er Raffael
fogar zur felben Stunde geboren werden, in welcher er ftarb: wa hore
tre di nottexz Offenbar war er alfo von den näheren Umftänden des Todes
wohl unterrichtet. Was ihn abhielt, die Grabfchrift wörtlich zu inter-
pretiren, war gewifs feine Anhänglichkeit an den Volkskalender. Der
Volkskalender war aber in diefer Zeit noch immer der Kirchenkalender.
Wir wiffen, dafs im ganzen Mittelalter vorwiegend der Kirchenkalender
galt, nach ihm gezählt und datirt wurde. In Volkskreifen erhielt frch
derfelbe noch lange über das Mittelalter hinaus, er gilt noch heutzutage
in den füdlichen Ländern, bei der katholifchen Bevölkerung. Auf die
Frage, wann einer geboren wurde, wann er ftarb, wird man {tets den
Namen des Kalenderheiligen zur Antwort empfangen und bei der Be-
rechnung des Alters wird ebenfalls nach dem Kirchenkalender, auch nach
beweglichen Feilen vorgegangen. Wäre Raffael in Urbino an einem
gewöhnlichen Tage geboren worden, fchwerlich würde das Datum in feiner
Erinnerung und im Gedächtnifs der Zeitgenoffen frch fo fefl eingebürgert
haben, anders wenn er ein Charfreitagskind war., Erft das Zufammen-
fallen des Geburtstages mit dem hohen Kirchenfefte liefs den erfteren
in feinem und feiner Freunde Gedächtnifs fefler haften. Auch Cellini
vergifst nicht, feine Geburt am T age Allerheiligen zu rühmen. Als nun
Raffael am 6. April 1520, der gleichfalls auf den Charfreitag fiel,
ftarb, wurde die Erinnerung an den gleichen Geburtstag in Raffaefs
Freunden lebendig. Bembo konnte allerdings nicht diefes merkwürdige
Zufammentreffen in der Grabfchrift betonen. Wie hätte fich in einem klaf-
frfchen, epigrammatifch zugefpitzten Epitaph der Charfreitag ausgenommen?
Er begnügt frch mit der allgemeinen Angabe: quo die natus est, eo esse
desiit. Alle andern Zeitgenoffen aber, die über Raffaefs Tod berichten,
heben den Charfreitag wle nocte del venerdi santoa und nur den Char-
freitag hervor. Den Monatstag geben fie nicht an. Auf diefe allgemein
herrfchende Volksfrtte, nach dem Kirchenkalender zu rechnen, baute
Vafari feinen Schlufs: Raffael lebte vom Charfreitag 148 3 bis Charfreitag
1520, und ich glaube, er folgte darin einem richtigen Tacte.