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RAFFAEL
UND
MICHELANGELO.
welchen die Statue von Urbino nach Mantua kam. Die Markgräfin
kaufte fie mit der Venus als antike Werke durch die Vermittlung des
Cardinals d'E{te dem Borgia 1502 wieder ab, erkannte aber bald den
modernen Urfprung des Cupido. Sie nennt in ihrem Briefe Michelangelo
nicht, doch ift ohne Zweifel in dem Cupido, der wper cosa moderna non
ha parirr, fein Werk gemeint. In Mantua fah ihn noch 1573 der fran-
zöfifche Reifende de Thou (Mariette citirt deffen Befchreibung in feinen
Notizen zur Pifaner Ausgabe Condivis); feitdern ifl der Cupido verfchollen.
Die Bemühungen, ihn unter den noch gegenwärtig in Mantua (Accademia
Virgiliana) aufbewahrten Antiken zu entdecken, blieben fruchtlos. Nach
einem Epigramm des Niccolo d'Arca hatte der Cupido eine Fackel zur
Seite. Die Gefchichte des argen Betruges, welcher dem Cardinal Raffael
Riario gefpielt wurde, blieb den Römern geläufig, lange nachdem der
Cupido vergeffen war. Boif f ard (Topogr. Romae I. 34) erzählt fie
ausführlich, nennt aber den Bacchus Michelangelds an Stelle des Eros
und läfst Michelangelo felbft den Betrug in das Werk fetzen, um
Raffael, den ihm ftets mifsgünlligen Gegner, lächerlich zu machen. Man
fleht, wie der Gegenfatz zwifchen Raffael und Michelangelo die Geifler
beherrfchte und geradezu mythenbildend wurde. Nach einer vorläufigen
Mittheilung glaubt Konr. Lange den Cupido in dem Mufeo di Antichita
zu Turin wieder entdeckt zu haben. Cupido liegt hier auf einem felfigen
Grunde, über welchen er die (auch feinen Kopf bedeckende) Löwenhaut
gebreitet hat. Er hält mit der Rechten die neben ihm liegende Keule.
Bogen und Köcher fehlen diefem ivHerakles-Erosa nicht. Lange ftützt
feine Anfrcht, dafs die bisher als antik angefehene Statue (Dütfchke,
Ant. Bildw. in Oberitalien IV. Nr. 89) mit Michelangelds Cupido identifch
fei, aufser auf {liliflifche Merkmale auch auf die fingirten Ergänzungen
und die künftlich herbeigeführte Verwitterung einzelner Theile. Die
Statuekam im Iahre 1584 aus Rom nach Turin. Darnach wäre die
ganze Tradition über ihre Schickfale falfch und fchon Condivi, der ihre
Sendung nach Mantua berichtet, im Irrthum. Eine ausführliche Abhandlung
über den Fund mit Abbildungen wird Lange in Lützow's Zeitfchrift 188 3,
XVIII. Bd., 8. Heft, publiciren.
8) Vgl. Bode in dem Iahrb. der pr. Kunftfammlungen II. 76. Von Ad.
Bayersdorfer, welcher auf die Bacchusgruppe in den Uffizien die
Aufmerkfamkeit gelenkt, wird eine eingehende Arbeit über Michelangelds
plaftifche jugendwerke erwartet. Zu den antiken Werken, welche Michel-
angelds Auffaffung verwandt erfcheinen, gehört noch die Statue eines
weinbekränzten Bacchus, ohne Arme, mit dem rechten Fufse auf erhöhtem
Grunde ftehend bei Michelangelo ftöfst der Fufs nur mit den Zehen
auf den Boden auf abgebildet bei Episcopius, Signorum veterum
icones Taf. 60 und 61.